Die Unvereinbarkeit von Naturwissenschaften und Religion

…und warum die Religion der ärgste Feind der Wissenschaft ist

von Bernd Vowinkel

 

Von den Vertretern der Geisteswissenschaften und hier insbesondere von den Theologen wird häufig der Standpunkt vertreten, dass die Naturwissenschaften nur einen Teil der Realität bzw. der Wahrheit mit ihren Methoden erfassen können und dass man nur über den religiösen Glauben in den Besitz absoluter Wahrheiten kommen kann. Zuweilen wird gar der in sich widersprüchliche Begriff der Glaubenswahrheit verwendet. Die Erkenntnisse der Natur­wissenschaften sind sozusagen in eine übergeord­nete Wahrheit eingebettet, zu der nur der Glaube Zugang verschafft. Daneben gibt es Dinge wie Werte, Moral und Sinn, die angeblich nur der Glaube ergründen kann. Demzufolge wird die Theologie neben den Natur­wissen­schaften als gleichrangige oder gar übergeordnete Wissenschaftsdisziplin ein­gestuft.

Die Theologie ist keine Wissenschaft

Die Idee, dass es sich bei der Theologie überhaupt um eine Wissenschaft handelt, stammt von Thomas von Aquin. Er sah im Glaubensbekenntnis die gleiche Rolle wie die der Axiome in der Mathematik. Sein Wissenschaftsanspruch geht auf Aristoteles zurück, der Axiome für so evident hielt, dass sie keiner weiteren Begründung mehr bedürfen. Was hier allerdings meistens übersehen wird, ist die Tatsache, dass die Axiome der Mathematik für alle einsichtig sind, die über ein gewisses Maß an Intelligenz verfügen. Bei den Glaubensgrundsätzen scheint diese Einsicht aber irgendwie ortsabhängig und von der Erziehung abhängig zu sein. Außer­dem gibt es einen erheblichen Prozentsatz von gebildeten Leuten, die diese Grundsätze restlos ablehnen, weil sie ihnen völlig unvernünftig erscheinen.

Die heutige Wissenschaftstheorie ist vom Evidenzanspruch der Axiome wieder abgerückt. Sie sieht in den Axiomen bzw. Prämissen Setzungen oder Annahmen über deren absoluten Wahrheitsgehalt keine Aussagen gemacht werden können. Demzufolge werden Erkenntnisse und Theorien der Naturwissenschaften nicht mehr als absolut wahr gesehen, sondern man sieht in den Theorien mehr oder weniger brauchbare modellhafte Beschreibungen der Realität. Genauere Theorien liegen näher an der Wahrheit und sind damit bessere Beschreibungen. Die bisher bekannten Theorien haben darüber hinaus Gültigkeitsgrenzen. Eine „Theorie für Alles“ d.h. eine Theorie ohne Gültigkeitsgrenzen ist im Moment nicht in Sicht, kann aber für die Zukunft auch nicht restlos ausgeschlossen werden.

Zu den Prämissen1 der Naturwissenschaften zählen der Realismus, der Rationalismus und der Naturalismus. Der extrem entgegen gesetzte Standpunkt zum Realismus ist der Solipsismus. Er kann nicht widerlegt werden, ist aber auch nicht wirklich wert, tiefer diskutiert zu werden. Dennoch gibt es in den modernen Theorien der Physik (Quantenmechanik, Superstringtheorie und Schleifenquantengravitation) Ansätze, die den Realismus in seiner althergebrachten Form in Frage stellen. Über die Plausibilität des Realismus können aber letztlich nur die Natur­wissenschaften selbst objektive Einschätzungen abgeben.

Mit dem Standpunkt des Rationalismus gehen die Wissenschaftler/innen davon aus, dass die Natur mit dem menschlichen Verstand im Prinzip verstehbar ist, was ebenfalls keineswegs selbstverständlich ist und wohl auch nur für einen eher kleinen Teil der Bevölkerung zutrifft. Der Naturalismus verbietet, bei Erklärungen von Vorgängen der Natur auf mystische Substanzen und Phänomene zurückzugreifen, vielmehr geht es in der Natur mit „rechten Dingen“ zu, d.h. ausnahmslos auf Basis der Naturgesetze. Es gilt hier das Prinzip des ontologischen Sparprogramms, bekannt unter der Bezeichnung „Okhams Rasiermesser“. Dieses Prinzip besagt, dass einfache Erklärungen von Naturphänomenen den komplizierten vorzuziehen sind. Mystische Erklärungen gelten dabei als unbrauchbar, weil sie die Naturvorgänge nicht auf einfache Grundprinzipien reduzieren, sondern sie mit noch komplexeren Dingen versuchen zu erklären. Da es keine Belege für Übernatürliches jedweder Art gibt, kann man nur auf die Nichtexistenz des Übernatürlichen schließen. Der Naturalismus wurde von Anfang an von den monotheistischen Religionen abgelehnt. So verurteilte ihn die katholische Kirche von Anfang an als Irrlehre (z.B. im „Syllabus“ von 1864).

Obwohl die drei Prämissen keinen Anspruch auf absolute Wahrheit haben, sind sie dennoch für die Naturwissenschaften eine zwingende Voraussetzung und die empirische Erfahrung zeigt, dass sie sich bewähren. So hat sich gezeigt, dass man mit den Erkenntnissen der Naturwissen­schaften und der Mathematik funktionierende Maschinen und Apparate bauen kann und sogar Krankheiten heilen kann. Die für viele Menschen schwer verständlichen, physikalischen Theorien der Quantenmechanik und die Relativitätstheorie werden häufig als esoterische Gedankenspiele von vergeistigten Naturwissenschaftlern angesehen. Dabei wird übersehen, dass etwa ein Drittel unseres Bruttosozialproduktes mit Bauteilen und Geräten erzeugt wird, die mit Hilfe der Quantenmechanik entwickelt wurden. Unsere Navigations­geräte funktionieren nur, weil die Effekte der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie bei der Positionsberechnung berücksichtigt werden. Wenn es sich bei den Naturwissenschaften lediglich um Mythen handeln würde, wären diese gewaltigen Erfolge wohl kaum möglich.

Bei der Theologie liegen die Dinge völlig anders. Zu der Frage, ob es sich bei der Theologie überhaupt um eine Wissenschaft handelt, hat der protestantische Theologe Wolfhart Pannenberg2 mit seinem Buch „Wissenschaftstheorie und Theologie“ einen guten Beitrag geleistet. Er formuliert vier Kriterien zur Beurteilung der Wissenschaftlichkeit:

1) Kohärenz: Die Aussagen einer gegebenen Wissenschaft behandeln einen einheitlichen Gegenstandsbereich.

Der Gegenstandsbereich der Theologie ist Gott, der nach Aussage der Theologie die Eigen­schaft hat „die alles bestimmende Wirklichkeit“ zu sein. Damit schwingt sich die Theologie nach eigener Ansicht zu einer Wissenschaft auf, die letztlich für alles zuständig ist und für alles letzte Erklärungen liefert. Naturwissenschaftler/innen können das nur als reinen Größenwahn bezeichnen.

2) Wahrheit: Die Aussagen einer Wissenschaft sind Behauptungen über Sachverhalte, die entweder wahr oder falsch sind.

Wie sollte man aber entscheiden, ob die Aussage „es gibt einen Gott“ wahr oder falsch ist? Beide möglichen Positionen sind weder beweisbar noch empirisch überprüfbar. Das hält allerdings einige übermütige Theologen nicht davon ab, Gottesbeweise vorzustellen (siehe z.B. Spaemann3 „Der letzte Gottesbeweis“; Rezension: http://hpd.de/node/4692). Zuweilen berufen sich Gläubige in Bezug auf die Existenz Gottes auf persönliche Offenbarungen. Da diese aber nicht objektivierbar sind, sind sie für die Allgemeinheit ohne Bedeutung. Merkwürdigerweise scheinen auch diese Offenbarungen ortsabhängig zu sein. So haben Christen Offenbarungen in denen ihnen z.B. Jesus oder Maria erscheint. Mohammedanern erscheint Mohammed oder Allah.

3) Kontrollierbarkeit: Wissenschaftliche Aussagen können überprüft werden.

Nach Meinung der meisten Theologen steht diese Forderung im Gegensatz zur göttlichen Autorität. Da fragt man sich, wie etwas oder jemand über Autorität verfügen kann, wenn nicht einmal seine Existenz kritisch hinterfragt werden darf. Was dahinter steckt, ist ganz offensichtlich eine Selbstimmunisierung gegen kritische Fragen.

4) Theologische Thesen sind Hypothesen, die den Prüfkriterien (d.h. der Falsifizierbarkeit) nach der Wissenschaftstheorie von Karl Popper4 unterliegen.

Viele der theologischen Thesen beruhen auf Transzendenz. Auch einige naturwissen­schaftliche Thesen sind so entstanden. Diese haben zunächst den Status von Hypothesen. Stellt sich heraus, dass solche Hypothesen grundsätzlich den Prüfkriterien nicht zugänglich sind, so haben sie zur Erklärung von Naturphänomenen oder Teilen unseres Weltbildes keinerlei Aussagekraft. Die Forderung nach Falsifizierbarkeit, wie sie der Philosoph Popper formuliert hat, ist zwar inzwischen in Kritik geraten, dennoch müssen sich theologische Thesen den Prüfkriterien der aktuellen Wissenschaftstheorie stellen, wenn sie den Anspruch auf Wissen­schaftlichkeit aufrecht erhalten wollen. Nun zeigt sich aber, dass sämtliche theologischen Thesen und insbesondere die theologischen Dogmen an allen wissen­schaftlichen Prüfkriterien scheitern. Hier könnte natürlich ein Theologe sagen, dass es sich bei den Dogmen um Axiome handelt, die nicht weiter zu hinterfragen sind und es kommt letztlich nur auf die Bestätigung ihrer Folgerungen an. Wer so argumentiert, muss sich dann allerdings fragen lassen, ob sich die Wirklichkeit überzeugender erschließt, wenn man davon ausgeht, dass Gott existiert und dass Jesus Gottes Sohn ist.

Zusammenfassend muss man feststellen, dass es sich bei der Theologie nicht um eine Wissenschaft handelt. Sie ist vielmehr eine Kunst, Dinge zu beweisen, die es nicht gibt und die Keiner wirklich braucht. Aus diesen Gründen sollte die Theologie als Lehrfach an den Universitäten abgeschafft werden, denn hier werden Steuergelder in eine Pseudowissenschaft gesteckt.

Grundlegende Unterschiede zwischen Naturwissenschaften und Religion

Die Naturwissenschaften suchen nach einfachen Grundprinzipien aus denen sich die Komplexität der Natur aufbaut und erklären lässt. Die Religion versucht dagegen die Natur durch ein noch größeres komplexeres Dasein zu erklären. Dies ist genau genommen das Gegenteil dessen, was wir unter Erklärung verstehen.

Im Mittelpunkt der Erkenntnisquellen der Naturwissenschaften steht die Empirie, d.h. die Beobachtung und das Experiment. Mit Hilfe des menschlichen Verstandes, der Vernunft, sowie der Mathematik wird daraus versucht, allgemeingültige Modelle und Regeln in Form von Algorithmen (Formeln) aufzustellen. Diese Modelle haben nicht den Anspruch die absolute Wahrheit zu verkörpern, sondern sie sind mehr oder weniger gute Beschreibungen der Wirklichkeit. Alle bisherigen physikalischen Modelle haben Gültigkeitsgrenzen. An einer allumfassenden, physikalischen Theorie ohne Gültigkeitsgrenzen, d.h. eine „Theorie für Alles“ wird derzeit intensiv geforscht. Ob dieses Ziel erreicht werden kann, ist eine offene Frage. Aus diesen Gründen sehen sich die Naturwissenschaften nicht im Besitz absoluter Wahrheiten.

Als Erkenntnisquellen der christlichen Religion werden genannt: die Bibel, persönliche Offenbarungen, Wunder und die Vernunft. Die Theologin Uta Ranke Heinemann5 hat in ihrem Buch „Nein und Amen“ aufgezeigt, wie gering der Wahrheitsgehalt der Bibel ist. Evangelien widersprechen sich teilweise. Der geschichtliche Hintergrund passt zuweilen nicht richtig usw. Die Evangelien im Neuen Testament sind Jahrzehnte nach dem Tod Jesus nieder­geschrieben worden, was schon für sich genommen stark am absoluten Wahrheitsgehalt zweifeln lässt. Es sind keineswegs Augenzeugenberichte, sondern Niederschriften vom Hörensagen mit zweifelhafter Herkunft, die zudem im Nachhinein auch noch für die Bedürfnisse der Kirche manipuliert wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt einen historischen Jesus gegeben hat, ist äußerst gering. Die Bibel ist die Niederschrift von Mythen und sie ist Menschenwort und nicht Gottes Wort. Wer an die unbefleckte Empfängnis Marias und an die Himmelfahrt Jesus glaubt, muss sich ein gehöriges Maß an Naivität vorwerfen lassen.

Offenbarungen sind subjektive Erlebnisse deren Wahrheitsansprüche nicht belegbar sind. Als allgemeine, objektive Erkenntnisquellen sind sie völlig untauglich. Psychologen und Hirnforscher können dagegen diese Effekte mittlerweile problemlos erklären. Für Wunder gibt es keine belastbaren Aussagen. Wunder­heilungen konnten bisher nie medizinisch belegt werden. Nachdenklich macht auch, dass noch nie berichtet wurde, dass Gott z.B. einem Beinamputierten ein Bein hat nachwachsen lassen. Wenn er allgerecht und allmächtig ist, sollte man das von ihm erwarten können und es sollte für ihn auch kein Problem darstellen.

Bliebe noch die Vernunft. Gerade in letzter Zeit gibt es wieder erneute Bemühungen, in Ermangelung anderer belastbarer Erkenntnisquellen, die Vernunft zu bemühen. Dabei hat schon Immanuel Kant6 in seinem Werk „Die Kritik der reinen Vernunft“ aufgezeigt, dass das nicht gelingen kann. Ein neuer Versuch ist z.B. das Buch „Der aufgeklärte Gott, wie die Religion zur Vernunft kam“ von A. Kissler7. Dieses Buch ist im Wesentlichen eine Abrechnung mit dem Neuen Atheismus, bringt aber bezüglich der Vernunft keine wirklich neuen Gedanken.

Gerade der fehlende Bezug zur Vernunft und die mangelnde Überprüf­barkeit führen zu einer Beliebigkeit der Religionen. So gibt es eine Vielzahl von unter­schiedlichen Religionen, von denen jede von sich behauptet, die einzig wahre zu sein. Es kann aber nur eine Wahrheit geben und daher kann nur höchstens eine Religion die einzig wahre sein. So verspricht z.B. das Christentum die Erlösung, wenn man Jesus als Sohn Gottes anerkennt, während der Koran für genau den gleichen Glaubensgrundsatz ewige Höllenqualen androht. Wenn man sich nun für eine Religion entscheidet, so ist rein statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit die Richtige und einzig wahre zu treffen der Kehrwert der Zahl der Religionen. Wenn wir mal annehmen, dass wir nicht die einzigen intelligenten Lebewesen in dieser Welt sind und dass zumindest in einer Übergangsphase alle Zivilisationen auch Religionen entwickeln, so geht die Wahrscheinlichkeit die einzig wahre Religion zu treffen in die Nähe von Null. Fazit: gerade die Vielzahl und die Beliebigkeit der Religionen zeigen, dass sie mit Vernunft, Wahrheit und Realität nichts zu tun haben können.

Ein weiterer Unterschied zwischen der Naturwissenschaften und der Theologie ist, dass offene Fragen und alternative Erklärungsvorschläge in den Naturwissenschaften beantwortet und entschieden werden können. Alte Konzepte (wie z.B. der Äther in der Physik und die Lebenskraft in der Biologie) werden über Bord geworfen, wenn sie sich als untauglich erweisen. In der Theologie aber gibt es keinen wirklichen Fortschritt. Das Einzige was man notgedrungen aufgrund des enormen Druckes von Seiten der Naturwissenschaften unter­nimmt, ist der Versuch, sich durch geschickte Uminterpretationen der Bibel zu immunisieren. Unsere Wissenschaftsgeschichte hat gezeigt, dass sich mystische Erklärungen von Natur­phänomenen auf die Dauer immer als falsch herausgestellt haben. Dennoch hält die Theologie leidenschaftlich am Leib-Seele Dualismus fest, weil ansonsten ihr Menschenbild und damit ihre gesamte Grundlage in sich zusammenbrechen würden.

Nun wird nicht zu Unrecht gesagt, dass die Naturwissenschaften nur einen Teil der Wirklichkeit beschreiben. Sie geben keine Antworten auf Fragen wie die nach der Ästhetik, der Ethik, der Moral und dem Sinn. Diese Fragen sind Gegenstand der Geistes- und Gesellschafts­wissenschaften. Dennoch zeigt sich in jüngerer Zeit, dass viele dieser Fragen letztlich doch auf naturwissenschaftliche Grundprinzipien zurückgeführt werden können. Der neue Forschungs­zweig der evolutionären Psychologie7, 8 zeigt, dass es z.B. für die Ästhetik evolutionäre Erklärungen gibt. Ähnliches gilt für die Ethik. Weiterhin gibt die moderne Hirnforschung neue Erklärungsansätze für die volle Bandbreite menschlicher Verhaltens­weisen. Selbst für die Liebe, so mysteriös und komplex sie auch sein mag, besteht die Aussicht, in naher Zukunft vollständig erklärt zu werden.

Die Frage nach dem letzten Sinn des Universums und unserer eigenen Existenz ist eine aus der Alltagserfahrung abgeleitete Projektion in die Ewigkeit. Es gibt jedoch keinen Grund, warum es überhaupt einen letzten Sinn geben müsste. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat weder unsere Existenz noch das Universum einen letzten höheren Sinn. Die Suche nach dem Sinn ist vielmehr Ausdruck der Wunschvorstellung, dass der Mensch ein erhabenes Wesen im Kosmos ist, das zu Höherem geboren ist. Die christliche Religion hat zwar eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, aber diese Antwort ist einerseits völlig aus der Luft gegriffen und andererseits von zweifelhaftem Wert. So fragt der Philosoph A.J.Ayer9:

Was ist eigentlich so tröstlich an dem Gedanken, eine Marionette in der Hand eines höheren Wesens zu sein?

Der religiöse Glaube hat keinen anderen Zugang zur Wahrheit oder zur Realität, sondern er hat dazu überhaupt keinen Zugang. Die religiösen Dogmen haben ebenfalls keinerlei Bezug zur Realität. Sie entsprechen vielmehr den Wunschvorstellungen einiger Fehlgeleiteter. Wissenschaft und hier insbesondere die Naturwissenschaften haben in der Beschreibung der Welt eine grandiose Erfolgsgeschichte aufzuweisen. Stark vereinfacht kann man auch sagen: Wissenschaft beschreibt die Realität, Religion beschreibt Wunsch- und Wahnvorstellungen.

Offene Fragen unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes

Es bleiben dennoch zwei offene Fragen in unserem naturwissenschaftlich fundierten Weltbild. Die erste ist die nach der Entstehung unserer Welt. Die Urknalltheorie gilt zwar mittlerweile als weitestgehend gesichert, aber die Frage, ob es eine Zeit vor dem Urknall gab, ist noch offen. Zur Beantwortung fehlt eine „Theorie für Alles“ die die vier Grundkräfte der Natur miteinander vereint. Immerhin gibt es dazu Ansätze in der Superstringtheorie und der Schleifen­quantengravitation. Auch die römisch-katholische Kirche hat schon 1951, für ihre Verhältnisse äußerst schnell, offiziell erklärt (Papst Pius XII in einer Rede vor der päpstlichen Akademie der Wissenschaften), dass die Urknall-Theorie mit der Bibel in Einklang steht, denn offensichtlich war dies der Zeitpunkt des Schöpfungsaktes unserer Welt. Es war damit das erste Mal, dass eine Naturwissenschaft einen Glaubensgrundsatz zu bestätigen schien. Dies bekräftigte der vatikanische Astronom William Stoeger mit den Worten: „Die Erkenntnis vom Urknall hat das Bild Gottes veredelt“. Die Genugtuung darüber war aber etwas verfrüht, denn eine genauere Betrachtung führt auch hier zu Widersprüchen. Aber selbst wenn man von diesen Widersprüchen absieht, würde die Annahme eines Schöpfungsaktes nichts wirklich erklären, sondern nur neue Fragen aufwerfen. Wenn Gott die Welt erschaffen hat, so verschieben sich die Fragen des Anfangs der Zeit auf Gott selbst. Existiert er schon ewig? Wenn ja, warum hat er unsere Welt erst vor 14 Milliarden Jahren erschaffen und nicht schon vor ewigen Zeiten? Wenn es auch für ihn einen Beginn der Zeit gibt, stellt sich die Frage, wer hat ihn erschaffen? Die Fragen bleiben also gleich, nur dass anstelle des Universums jetzt Gott tritt. Der Unterschied ist aber der, dass die Existenz des Universums gewiss ist, die von Gott nicht. Mystische Erklärungen von Naturphänomenen sind keine wirklichen Erklärungen sondern Verschleierungen. Naturwissenschaftler/innen brauchen zur Erklärung der Natur keinen Gott und deshalb glauben auch die meisten auch nicht an ihn.

Die zweite noch vorhandene Erklärungslücke sind die besonderen Fähigkeiten unseres Gehirns. Dennoch konnten auch hier in den letzten Jahrzehnten gewaltige Fortschritte gemacht werden. Der bekannte Informatik-Professor Christof Koch10 schreibt dazu:

Den Geisteswissenschaften ist es trotz oftmals heroischer Bemühungen über viele Jahrhunderte nicht gelungen, allgemein anerkannte Erkenntnisse zu entwickeln, wie die Kluft zwischen Körper und Geist, die als Leib-Seele-Problem bekannt ist, überwunden werden kann.

…In den letzten Jahrzehnten haben wir (Anm. über die Neurowissenschaften) mehr über das Gehirn gelernt als in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor.

…Ob uns eine endgültige Theorie des Bewusstseins aus praktischen, methodischen oder ontologischen Gründen versagt bleiben wird, kann nur die Neurowissenschaft ergründen.

Nach dem heutigen Stand der Neurobiologie resultieren die Leistungen des Gehirns aus den Schalteigenschaften der Neuronen und ihrer „Verdrahtung“ zu einem neuronalen Netz. Die biochemischen und Signal verarbeitenden Abläufe in den Nervenzellen sind schon relativ gut verstanden. Die Organisation unseres Gehirns im Großen ist durch bildgebende Verfahren (z.B. funktionelle Kernspintomografie (fMRT), Elektroenzephalographie (EEG) und Magnet­enzephalographie (MEG)) ebenfalls recht gut erforscht. Weniger bis überhaupt nicht bekannt sind dagegen die Abläufe einzelner Gedanken und darauf aufbauend solche Dinge wie Bewusstsein, grundlegende Gefühle (Qualia) usw. Dennoch hat der Psychologe Dietrich Dörner11 in seinem Buch „Bauplan für eine Seele“ gezeigt, das alle diese Dinge mit den Abläufen in künstlichen neuronalen Netzen nachvollzogen werden können. An mehreren Forschungsinstituten laufen bereits Projekte bei denen biologische Hirne von Kleintieren in Computern rekonstruiert werden sollen, um ihre Funktion bis in alle Einzelheiten nach­vollziehen zu können.

Von Theologen und Philosophen wird häufig das Argument vorgebracht, dass die Hirn­forschung zwar die materielle Grundlage des Geistes erforschen könne, aber nicht den Geist selbst, weil sie hier als Naturwissenschaft einem Kategorienfehler unterliege. So findet die Hirnforschung biochemische Vorgänge in Nervenzellen, Signale zwischen den Hirnzellen und Aktivitätszentren. Der Geist läuft zwar parallel zu all diesen Vorgängen, er wird aber dadurch nicht bestimmt und kann damit auch nicht ergründet werden. Dazu ist zu sagen, dass vom Standpunkt der Hirnforschung das Gehirn mit einem Computer verglichen werden kann. Alles das, was im Gehirn abläuft, lässt sich mit der Funktion von neuronalen Netzen vollständig erklären. Würde man umgekehrt von einem Computer nur die Funktion der einzelnen Schaltelemente (z.B. Transistoren) und die Aktivitätszentren des Prozessorchips kennen, dann könnte man genauso wenig sagen, was der Computer gerade „denkt“. Unsere derzeitige Unfähigkeit einzelne Gedanken im Gehirn festzustellen und zu erklären, ist ein noch bestehender Mangel der zugrunde liegenden technischen Verfahren. Dieser Mangel wird in wenigen Jahrzehnten überwunden sein und dann werden das Gehirn und der Geist seine letzten Geheimnisse preisgeben.

Für die Annahme einer mystischen Substanz in unserem Hirn, besteht also aufgrund unseres naturwissenschaftlichen Kenntnisstandes absolut kein Grund mehr. Diese Erkenntnisse geben Anlass, das Jahrtausende alte Leib-Seele-Problem neu zu überdenken. Da der Begriff Seele religiös vorbelastet ist, wollen wir im Folgenden stattdessen vom Geist-Körper-Problem reden.

Das Geist-Körper-Problem

Einen Überblick über die verschiedenen Standpunkte gibt folgende Liste:

  • Dualismus
    • Substanzdualismus:
      • interaktionistischer Dualismus: es gibt materielle und immaterielle Entitäten, die kausal miteinander interagieren
      • psychophysischer Parallelismus: Geist und Körper wirken in keiner Weise aufeinander
    • Eigenschaftsdualismus: für jedes physische Ereignis gibt es eine physische Ursache, und mentale Eigenschaften sind dennoch kausal wirksam
      • Epiphänomenalismus: es gibt keine kausale Wirksamkeit mentaler Eigenschaften
  • Monismus
    • idealistischer Monismus: alles ist Geist, und nur geistige Vorgänge sind real
    • materialistischer Monismus:
      • semantischer Physikalismus: alle mentalen Prädikate sind in physikalischer Sprache definierbar
      • Identitätstheorie: jede mentale Eigenschaft ist identisch mit einer physikalischen Eigenschaft
      • nichtreduktionistischer Physikalismus: jede mentale Eigenschaft hat eine physische Basis, durch die sie realisiert ist
      • Emergenztheorie: jede mentale Eigenschaft hat eine physische Basis; sie ist aber nicht mit dieser Basis identisch und auch nicht durch sie realisiert

Die Vertreter/innen der monotheistischen Religionen und ein Teil der Philosophen vertreten hier den Standpunkt des Dualismus. Neben der physischen Ursache kommt eine mystische Ursache bzw. Substanz hinzu, die naturwissenschaftlichen Methoden grundsätzlich unzu­gänglich ist. Nur auf diese Weise lässt sich eine unsterbliche Seele begründen. Zuweilen wurden und werden allerdings auch monistische Standpunkte von der Theologie vertreten, mit der Begründung, dass Leib und Seele als Einheit von Gott geschaffen wurden. Solche Stand­punkte sind aber noch weiter von den Naturwissenschaften entfernt, weil sie zusätzlich auch den Körper mystifizieren. Der Dualismus kann weder durch Nachdenken noch durch empirische Erfahrungen, d.h. Beobachtung und Experiment bestätigt oder falsifiziert werden. Damit ist er als rationale Erklärung der geistigen Fähigkeiten des Menschen völlig unbrauchbar.

Neben dem materialistischen Monismus gibt es noch den idealistischen Monismus, der aber hier nicht weiter diskutiert werden soll, da er ohnehin keine allzu große Bedeutung mehr hat. Bei den Theorien des materialistischen Monismus sind die Unterschiede untereinander nicht allzu groß, es gelten vor allem der nichtreduktionistische Physikalismus und die Emergenz­theorie als aktuell. Die besonderen Fähigkeiten unseres Gehirns, wie Bewusstsein, Emotionen usw. werden hier als emergente Phänomene aufgefasst. Zuweilen behaupten die Vertreter/innen des Dualismus, dass dies nur eine andere Bezeichnung für Mystik sei, weil man genauso wenig weiß, was sich dahinter verbirgt. Dies trifft jedoch nicht zu, denn man kann das Phänomen der Emergenz z.B. innerhalb der Mathematik studieren. Dort treten solche Dinge im Bereich der zellulären Automaten auf, der ein Teilbereich der Komplexitätstheorie ist. Hier sei insbesondere das monumentale Werk von Stefan Wolfram12 „A new Kind of Science“ erwähnt, das sich auf 1200 Seiten mit diesen Phänomenen befasst.

Zusammen­fassend kann man also sagen, dass es für die Annahme von mystischen Vorgängen in unserem Gehirn keinen vernünftigen Grund mehr gibt. Davon abgesehen zeigt uns die Geschichte der Wissenschaften, dass über die vergangenen Jahrtausende hinweg mystische Erklärungen von Naturphänomenen nie bestätigt werden konnten. Es haben sich letztlich immer rationale Erklärungen finden lassen, auch wenn das zum Teil mit großen Mühen verbunden war und lange Zeiträume beansprucht hat.

Wie sieht nun im Einzelnen das Weltbild dieser monistischen Theorien aus? Es sei hier eine Variante des nichtreduktionistischen Physikalismus herausgegriffen, weil sie bisher am besten mit den Ergebnissen der modernen Hirnforschung übereinstimmt. In dieser Variante werden die Dinge, die sich nicht weiter reduzieren lassen, unter den Begriffen Information und Informationsverarbeitung zusammengefasst. Wobei Information im weitesten Sinne gemeint ist, d.h. es zählen auch Begriffe wie Bedeutung, Ideen, Eigenschaften und Funktionen dazu. Begriffe wie Gefühl, Kognition, Intention und schließlich das Bewusstsein sind dann der Informationsverarbeitung zuzuordnen. Man könnte hier zwar auch von Symbolen und Symbolverarbeitung sprechen, der Begriff der Information ist aber etwas allgemeiner. Information im engeren technischen Sinn, wie sie in der von Shannon begründeten Informations­­theorie behandelt wird, beinhaltet dagegen Signale unabhängig von ihrer Bedeutung. Information bedarf zur Speicherung und Verarbeitung der Existenz der physischen Welt, sie ist aber nicht an eine bestimmte Materie oder Energie gebunden.

Die physikalischen und biochemischen Vorgänge, die Grundlage der Erzeugung von Gefühlen sind, lassen sich wahrscheinlich in der Zukunft immer besser aufklären. Dennoch lässt sich aber damit die subjektive Erfahrung eines Gefühls nicht erklären. Ähnlich wie in der physischen Welt, wo sich Eigenschaften wie Masse und Ladung zwar beschreiben, aber derzeit nicht weiter reduzieren lassen, ist es vermutlich bei den Gefühlen. Sie sind nicht weiter zerlegbare komplexe Formen der Informationsverarbeitung.

Gegenüber dem dualistischen Standpunkt werden hier den Begriffen Seele, Geist, Bewusstsein, die besser definierbaren Begriffe der Information und der Informations­verarbeitung gegenübergestellt. Informationsverarbeitung ist hierbei ein aktiver Vorgang der sich von reiner Information unterscheidet, die passiv ist und nur Muster zu aktiven Vorgängen enthalten kann. Diese Unterscheidung lässt sich an dem Beispiel der Vollnarkose aufzeigen. Bei der Vollnarkose, oder bei dem was man generell als tiefe Bewusstlosigkeit definiert, sind alle komplexen, psychischen Zustände abgeschaltet, da das Gehirn nur noch in geringem Umfang aktiv ist. Die im Gehirn gespeicherten Informationen sind aber weiterhin voll vorhanden. Das Gehirn ist somit in diesem Zustand im Wesentlichen nur noch ein passiver Informations­speicher. Die gespeicherte Information selbst führt also nicht zu Bewusstsein, sondern erst ihre Aktivierung in einer wie auch immer gearteten Hardware. Physikalisch gesehen ist Informationsverarbeitung immer mit dem Verbrauch von Energie verbunden, oder etwas exakter ausgedrückt, mit einer Vergrößerung der Entropie.

Die Dinge, die hier bei der Informationsverarbeitung aufgezählt wurden, bezeichnet der Philosoph Popper13 als die Welt der subjektiven Erlebnisse. Dies ist aber keine entscheidende Eigenschaft, denn subjektiv sind diese Dinge bestenfalls nur solange sie auf biologische Lebewesen beschränkt sind. Aber selbst hier zeigt bereits die Hirnforschung, dass mit Hilfe der modernen Verfahren bestimmte subjektive Erlebnisse zumindest recht grob mit objektiven Messungen korreliert werden können.

Information und Informationsverarbeitung sind Begriffe, die eng miteinander verbunden sind. Insofern wäre eine Auftrennung in drei Welten, wie in der Philosophie Poppers13, etwas übertrieben. Was bleibt, ist aber zunächst eine Abtrennung zur physischen Welt. Hier könnte somit der Verdacht aufkommen, dass es sich doch um einen dualistischen Standpunkt handelt, bei dem nur einige Begriffe ausgewechselt wurden. Diese noch vorhandene Trennung der Information von der physischen Welt liegt daran, dass die grundlegenden Naturgesetze, soweit wir sie kennen, keine unmittelbaren Aussagen über Information machen. Eine gewisse Ausnahme ist der zweite Hauptsatz der Wärmelehre, der Aussagen über die Entropie und damit der Ordnung bzw. der Information eines abgeschlossenen Systems macht. Dieses Gesetz ist aber ein abgeleitetes und kein wirklich grundlegendes Naturgesetz. Weiterhin spielt bei der Theorie der Schwarzen Löcher der Informationsverlust am Ereignishorizont eine wichtige Rolle. Sollte es gelingen, eine Theorie für Alles zu formulieren, so müsste diese Theorie auch Aussagen über Information machen. Manche Physiker sind tatsächlich der Ansicht, dass dies in naher Zukunft möglich sein wird. Erste Ansätze solcher Theorien wie z.B. die Superstringtheorie und die Theorie der Schleifenquantengravitation zeigen, dass dort Dinge wie Raum, Zeit und Materie ihren Absolutheitsanspruch einbüßen und stattdessen Dinge wie Information in Erscheinung treten. Zusammenfassend können wir damit folgende drei Bestandteile14 der Welt identifizieren:

1. Physische Welt:

Materie, Energie, Raum, Zeit, Naturgesetze, Naturkonstanten

2. Information im weitesten Sinne:

Eigenschaften, Ideen, Funktionen, Identität, Sprache, Theorien, Mathematik, Kunst, Wissenschaft, usw.

3. Hochkomplexe Informationsverarbeitung:

Kognition, Intention, Bewusstsein, Ich-Bewusstsein, Gefühle, Intuition, usw.

Nun können wir uns durchaus vorstellen, in einer virtuellen Welt zu leben. Eine solche Welt besteht nur aus Information und Informationsverarbeitung. Die physische Welt existiert hier nur als Vorstellung, ist aber nicht real vorhanden oder befindet sich zumindest auf einer anderen Realitätsebene. Dies ist die Position des Konstruktivismus. Das Umgekehrte, eine physische Welt ohne Information und Informationsverarbeitung können wir uns vielleicht vorstellen, aber sie kann nicht erlebt werden. Insofern ist die Existenz einer solchen Welt nicht nachprüfbar. Damit kann man die Ansicht vertreten, dass Information und Informations­verarbeitung fundamentaler sind als die physische Welt.

Die Information der Naturgesetze und Naturkonstanten müssen bei der Entstehung unseres Universums schon vorhanden gewesen sein. Die Frage ist hier, ob die Naturgesetze und die Naturkonstanten nicht eher der Information zugerechnet werden müssten. Dies ist letztlich eine kosmologische Frage. Eine physikalische Theorie für Alles müsste auch diese Frage beantworten. Da die Informationsverarbeitung grundsätzlich nicht auf biologische Systeme begrenzt ist, spricht in dem hier beschriebenen Weltbild nichts gegen die Machbarkeit von künstlichem Bewusstsein.

Die Entstehung des Menschen

Im Gegensatz zu den oben diskutierten offenen Problemen der Naturwissenschaften, gilt die Entstehung des Menschen aus Sicht der Naturwissenschaften als aufgeklärt. Insbesondere die gewaltigen Fortschritte in der Gentechnik haben die letzten Zweifel ausgeräumt. Die Evolutionstheorie gilt nunmehr als eine der am besten überprüften und bestätigten natur­wissenschaftlichen Theorien. Durch diesen enormen Druck der Fakten hat sich, soweit das bekannt ist, der Vatikan auf die Position zurückgezogen, dass Gott die Naturgesetze und die Naturkonstanten so geschickt geschaffen hat, dass sich daraus der Mensch entwickeln konnte. Während der Evolution hat Gott dann nicht mehr eingegriffen. Das war nach Ansicht des Vatikans aber auch gar nicht mehr nötig. Allerdings ist auch diese Position mit dem starken anthropischen Prinzip15 widerlegbar. Zuweilen wird hier von Gläubigen eingeworfen, dass die Existenz von unendlich vielen Paralleluniversen auch nur reiner Glaube sei. Sicher ist dieser Aspekt des starken anthropischen Prinzips im Moment nur eine Hypothese. Aber es lassen sich schon jetzt Konsequenzen daraus ableiten, die womöglich physikalischen Messungen zugänglich sind. Insofern besteht die Möglichkeit diese Hypothese in der Zukunft empirisch zu untermauern.

Dennoch glauben viele Christen nicht an den der Evolutionstheorie zugrunde liegenden Mechanismus der zufälligen Mutationen. Der Zufall wird von vielen nur als vordergründig gesehen. Dahinter versteckt sich angeblich das Wirken Gottes. Die Frage, ob der Zufall ein ontologischer Bestandteil unserer Welt ist, kann aber ebenfalls nur durch die Natur­wissenschaften selbst beantwortet werden. So können z.B. innerhalb der Quantenmechanik für beobachtbare Parameter nur statistische Mittelwerte berechnet werden. Einzelne Ereignisse, wie der Zeitpunkt des Zerfalls eines einzelnen Atomkerns, können aber nicht vorhergesagt werden. Beim derzeitigen Stand der Wissenschaft kann die Frage, ob dies ein ontologischer Indeterminismus ist, nicht abschließend beantwortet werden, da es verschiedene kon­kurrierende Interpretationen der Quantenmechanik gibt. Die wichtigsten sind: die Kopen­hagener Deutung, die Vielweltentheorie und die Theorie der verborgenen Parameter.

Bei der Kopenhagener Deutung führt der Messvorgang zu einem „Zusammenbruch der Wellenfunktion“. Der Messvorgang bzw. der dahinter stehende Experimentator selbst beeinflusst prinzipiell das Messergebnis. Im Ergebnis selbst spielt der Zufall eine Rolle. Hier könnte man daher von einem ontologischen Indeterminismus sprechen. Besonders abstrus ist die Vielweltentheorie. Hier geht man von deterministischen Welten aus. Bei quanten­mechanisch instabilen Systemen (z.B. instabiler Atomkern) spaltet sich die Welt in zwei getrennte Welten auf. In der einen Welt ist der Atomkern noch als ganzer vorhanden und in der anderen ist er zerfallen (Gedankenexperiment „Schrödingers Katze“). Damit ist der Zufall verschwunden. Diese Interpretation hat den Vorteil, dass sie den mathematischen Formalismus der Quantentheorie exakt wiedergibt. Der Nachteil ist, dass sie zu einer nur schwer vorstellbaren Inflation der Zahl der Welten führt. Aber ein Mangel an Vorstellbarkeit ist kein tragendes Argument gegen eine physikalische Hypothese.

Bei der Theorie der verborgenen Parameter geht man davon aus, dass die Quantentheorie unvollständig ist. Es gibt verborgene Parameter, zu denen die Physiker keinen Zugang haben bzw. finden. Mit deren Kenntnis würde aber der Zufall verschwinden. Diese Interpretation findet große Akzeptanz bei den Theologen, weil sich hinter den verborgenen Parametern das Wirken Gottes verstecken könnte. Inzwischen konnten jedoch Christian Roos und seine Kollegen vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Innsbruck anhand experimenteller Ergebnisse zeigen, dass bestimmte Varianten der Theorie der verborgenen Parameter nicht stimmen können (siehe Nature, Bd. 460, S. 494-497). Damit ist diese Interpretation zwar noch nicht vom Tisch, aber zumindest stark angeschlagen.

Während trotzdem die Entstehung des menschlichen Leibes über die Evolution von vielen Gläubigen akzeptiert wird, sind fast alle der Meinung, dass Gott alleine den Menschen mit einer unsterblichen Seele ausgestattet hat. Dies bekräftigte Papst Pius XII. mit den Worten: „Was die Seele betrifft, so müsse der katholische Gläubige unbedingt daran festhalten, dass sie unmittelbar von Gott geschaffen ist“. An dieser Haltung hat sich bis heute nicht viel verändert. So ließ Papst Benedikt XVI. keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Mensch ein gottgewolltes Geschöpf sei: „Dieses spezielle Gewolltsein und Gekanntsein des Menschen von Gott nennen wir seine besondere Erschaffung“. Auch die EKD sieht immer noch in Gott den Denker und Lenker hinter der Evolution, denn „wo Gott nicht anfängt, da kann nichts sein oder werden, wo er aufhört, da kann nichts bestehen“. Michael Schmidt-Salomon16 hat diese Einstellung als den „halbierten Darwin“ bezeichnet. Die christlichen Kirchen müssen aber zwangsläufig daran festhalten, weil sonst ihr Menschenbild und damit eine der wichtigsten Säulen ihres Glaubens in sich zusammenbrechen würde. In Bezug auf die Entstehung des Menschen kann daher von Kompatibilität nicht gesprochen werden. Die Evolutionstheorie ist mit dem christlichen Glauben völlig unvereinbar.

Warum die Religion der ärgste Feind der Naturwissenschaften und unserer gesamten Kultur war und ist

Sieht man sich die Geschichte des Christentums und sein Einfluss auf Kultur und Wissenschaft an, so muss man über die Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Religion hinaus konstatieren, dass das Christentum der ärgste Feind der Wissenschaft war und ist. In dem „dunklen Zeitalter“ zwischen etwa 400 und 1400 wurde die Wissenschaft massiv durch den Klerus behindert. Der Beginn des dunklen Zeitalters17 ist eindeutig festzulegen auf den 27. Februar 380 als der römische Kaiser Theodosius gemeinsam mit seinen Mitkaisern Gratian und Valentinian II., das Religionsedikt „cunctos populos“ verkündete, nachdem der gesamte Erdkreis nun christlich-trinitarisch denken müsse: „Die diesem Gesetz folgen, sollen die Bezeichnung katholischer Christ beanspruchen, die anderen aber, nach unserem Urteil Unsinnige und Verrückte, sollen die schimpfliche Ehrenminderung der Häresie erleiden … und sie sollen fürs erste durch ein göttliches Gericht, dann aber auch durch die Ahndung unseres richterlichen Einschreitens bestraft werden“. Es folgten daraufhin Bücher­ver­brennungen und die Schließung der Bibliotheken für die Öffentlichkeit. Ammianus Marcellinus berichtet von der Verfolgung und Hinrichtung von Personen, denen der Besitz von Büchern mit verbotenem Inhalt vorgeworfen wird. Da die Bücher seinerzeit auf Papyrus geschrieben waren, mussten sie, wegen der begrenzten Haltbarkeit des Materials, regelmäßig im Abstand von 50 bis 80 Jahren abgeschrieben werden. Da diese Arbeit nun in der Hand des Klerus lag, wurden von da an nur noch solche Bücher kopiert, die die christliche Lehre stützten. Später sorgte die Inquisition zusätzlich dafür, dass unchristliche Gedanken gar nicht erst zu Papier gebracht wurden. So ist es kein Wunder, dass über Jahrhunderte hinweg Bildung und Kultur überwiegend in den christlichen Klöstern stattfand und der Fortschritt in den Naturwissenschaften fast völlig ausblieb. Das Volk wurde systematisch dumm gehalten. Erst mit dem Beginn der Renaissance verbesserten sich langsam wieder die Verhältnisse. Die Erfindung des Buchdruckes durch Johannes Gutenberg um 1450 führte zu einer schnellen Verbreitung von Wissen, dass dann auch die katholische Kirche nicht mehr verhindern konnte.

Nun könnte man sagen, das alles ist Geschichte und hat mit der Gegenwart nichts mehr zu tun. Aber auch heute noch haben die christlichen Kirchen in unserem Staat einen großen Einfluss auf die Gesetzgebung und damit auf Bildung und Forschung. So wird über Ethikräte eine vernünftige Regelung der Genforschung und hier insbesondere der Stammzellen­forschung massiv behindert. Das führt dazu, dass viele junge talentierte Forscher das Land verlassen, weil sie im Ausland bessere Rahmenbedingungen vorfinden.

Zusammenfassung

Die Vereinbarkeit von Naturwissenschaften und Religion erfordert entweder eine Reduktion der Religion auf eine Gottheit wie er im Pantheismus beschrieben wird, oder die Konta­minierung der Wissenschaft mit unnötigen, unprüfbaren und grundlosen Behauptungen. Während insbesondere die monotheistischen Religionen etwa seit dem 4. Jahrhundert ein unvor­stellbares Maß an Leid und Elend über unseren Planeten gebracht haben, sehen die Bilanz der Naturwissenschaften und die daraus resultierende Technik erheblich positiver aus. So konnten sie unsere durchschnittliche Lebensspanne erheblich verlängern und unsere Lebensqualität bis ins hohe Alter steigern. Naturwissenschaften helfen dem Menschen, Religion schadet dem Menschen. Naturwissenschaften respektieren die Macht des menschlichen Intellekts, die Religion setzt ihn herab.

Gerade die katholische Kirche hat die Naturwissenschaften über Jahrhunderte hinweg systematisch behindert und bekämpft. Aufgrund des gewaltigen Druckes der natur­wissenschaftlichen Fakten sieht sie sich nun in der Position, ihre zweifelhaften Glaubens­grundsätze dagegen verteidigen zu müssen. Dabei fordert sie von Ungläubigen bzw. von Naturwissenschaftlern Respekt gegenüber dem christlichen Glauben. Etwas, das sie selbst gegenüber den Naturwissenschaften nie hatte.

Quellen:

[1] Wehler, J., Grundriss eines rationalen Weltbildes. Alibri Verlag, Aschaffenburg, 2007

[2] Pannenberg, W., Wissenschaftstheorie und Theologie. Suhrkamp Verlag, Febr. 1986

[3] Spaemann, R., Der letzte Gottesbeweis. Pattloch (August 2007), ISBN-10: 3629021786.

[4] Popper, K., Logik der Forschung. Verlag Tübingen : Mohr; Auflage: 9. verb. Aufl. (1989)

[5] Heinemann, U., Nein und Amen: Mein Abschied vom traditionellen Christentum. Heyne Verlag, Taschenbuch, 1. Oktober 2002

[6] Kant, I., Kritik der reinen Vernunft. 1787, Ausgabe Reclam, Stuttgart 1966

[7] Pinker, S., Wie das Denken im Kopf entsteht (org. How the Mind works), München, Kindler, 2002, ISBN 3-463-40341-2

[8] Junker, T., Paul, S.: Der Darwin-Code: Die Evolution erklärt unser Leben. Verlag C.H.Beck; Auflage: 1 (16. Januar 2009)

[9] Fehige, C., Meggle, G., Wessels, U., Der Sinn des Lebens, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 4. Auflage März 2002

[10] Geyer, C., Hirnforschung und Willensfreiheit, zur Deutung der neuesten Experimente. Edition Suhrkamp 2387, 2004

[11] Dörner, D.: Bauplan für eine Seele. Rowohlt Tb. (1. Oktober 2001)

[12] Wolfram, S., A new Kind of Science. Wolfram Media Inc. 2002

[13] Popper,K.|R., Eccles, J.|C., Das Ich und sein Gehirn. 1977, Ausgabe Piper Verlag, München/Zürich, 8.Auflage 2002

[14] Vowinkel, B.: Maschinen mit Bewusstsein, wohin führt die künstliche Intelligenz? Wiley-VCH (2006)

[15] www.darwin-jahr.de/evo-magazin/kein-wunder-dass-wir-existieren

[16] www.darwin-jahr.de/evo-magazin/halbierte-darwin

[17] fowid.de/fileadmin/textarchiv/Requiem_fuer_die_antike_Kultur__Rolf _Bergmeier___TA-2009-1.pdf

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