Von der „Kreuzigung“  intellektueller Redlichkeit

von Constanze Cremer

Er hat sich schon vor Jahren der Häresie schuldig gemacht: Der Doktor der evangelischen Theologie, Heinz-Werner Kubitza, las im Februar 2015 bei der gbs Köln aus seinem neuen Buch „Der Dogmenwahn“, das im Vorfeld schon hervorragende Kritiken (u.a. von Siegfried R. Krebs und Horst Herrmann ) geerntet hatte.

In gewisser Weise kann man dieses Buch fast als das dritte einer Trilogie bezeichnen – wenn man sich nicht scheut, neben seinem Vorläufer „Der Jesuswahn“ auch Richard Dawkins‘ „Der Gotteswahn“ mitzuzählen.

 

Als Kubitza, der mittlerweile Mitglied im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung ist, 2001 den Kirchenaustritt vollzog, war das sich aus der Natur der Sache ergebende Problem, nur für diesen einen Beruf qualifiziert zu sein, bereits elegant damit gelöst, dass er auch schon Verleger war und nun sich und andere kirchenkritische Autoren erfolgreich publiziert.

 

Sein Vorgänger-Werk „Der Jesuswahn“, in dem er aus historisch-kritischer Sicht über Jesus von Nazareth schrieb, letzterer starb bekanntlich als Gescheiterter und Irrender, hat sich bereits über 10.000 Mal verkauft.

 

Im „Der Dogmenwahn, Scheinprobleme der Theologie – Holzwege einer angemaßten Wissenschaft“, der, mit einem Augenzwinkern, aufgebaut ist wie eine klassische Dogmatik, geht Kubitza nun der Frage nach, wie moderne Theologie daherkommt und ob sie tatsächlich so modern ist, wie sie vorgibt. Dazu hat er sich die, für einen sich mittlerweile als Atheisten Verstehenden mutmaßlich zunächst eher als „harte Strafe“ denn interessante Unternehmung empfundene, Arbeit gemacht, die gängigen Dogmatiken der unter Fachleuten populären evangelischen Theologen durchzuarbeiten, und er fand dies, wie er sagt, wirklich höchst amüsant:

 

Staatlich hochbezahlte Leute führen den Leser in eine Parallelwelt und lösen dortige Scheinprobleme mit Scheinlösungen. Es eröffnen sich dabei faszinierend-absurde Denkwege, die beschritten werden, weil, gefesselt an alte Traditionen, ein freies Denken ausgeschlossen ist. Beispiele für solche Scheinprobleme, die niemand hätte, würde man die unelegante Gottes-Hypothese nicht vertreten: „Was machte Gott vor der Schöpfung?“, „Wie ist das Verhältnis Gottes zu den Tieren?“, „Ist auch das Böse von Gott geschaffen?“.

 

Theologen können laut Kubitza keine wirkliche Kritik üben, weil sie viel zu sehr selbst am Spinnennetz der Dogmatik mitgewebt haben, das sie nun gefangen hält. Wo sie sich kritisch äußern, kann dies immer nur Binnenkritik sein, wirkliche Kritik kann daher immer nur von außen kommen, wird dann aber, weil sie von Laien kommt, erst gar nicht zur Kenntnis genommen.

 

Für Predigten bräuchten die Theologen übrigens keine Dogmatiken, da gehe es mehr um die Erbauung der Gemeinde, eigentlich seien Dogmatiken nur für Theologie-Studenten relevant und Höhepunkt eines Theologen-Lebens sei es, eine eigene Dogmatik zu verfassen.

 

Nachdem er einige verschwurbelt-langweilige Zitate aus Dogmatiken verlesen hatte, war man als Zuhörer dankbar, sich nicht selbst eine derartige Lektüre antun zu müssen, sondern zu hören, dass darüber der historische Jesus nur schallend gelacht hätte.

 

Amüsant auch, wie leichtfüßig Kubitza beschreibt, wie schlecht im Saldo der Schreibstil der Bibel ist, genauso, wie der des Koran, und wie man sich als Leser in dem Moment gewahr wird, dass er gleichzeitig vorführt, wie man es doch so viel besser machen kann. Man sollte sich also nicht vom Umfang des Buches, seinem strengen Äußeren und den so vielen eng beschriebenen Seiten abschreckend lassen: abgesehen von einer Menge Wissen über „Aliens auf Papstaudienz“, „Eiertänze“ und „Theologen, von denen man wirklich denken könnte, sie hätten was geraucht“, würde einem eine kurzweilige, von Ironie und Bonmots gespickte, Lektüre entgehen…

 

In der anschließenden Diskussion wurde überwiegend Interesse am historischen Jesus gezeigt, im Gegensatz zu den im Vorfeld beschriebenen Theologen, die merklich die Frage nach dem historischen Jesus nicht gestellt hätten, hätten sie gewusst, was sie sich damit einhandelten:

 

Der historische Jesus hat laut Kubitza dogmatisch nämlich nichts zu bieten und ist zu uninteressant und fremdartig, als dass mit ihm Kirche zu machen sei. Er mache einen eher spröden Eindruck, gehörte einer anderen Religion an, die mit dem späten Christentum fast nichts zu tun hatte und war ein religiöser Extremist mit der Meinung, das Ende der Welt stehe direkt bevor; Extremismus und Überspanntheit musste er dann mit dem Kreuzestod „bezahlen“. Er habe sich als frommer Jude natürlich nicht als gottähnliches Wesen gesehen und schon allein den Gedanken als Blasphemie empfunden, sein Tod, der vermutlich unbeabsichtigt war, habe für ihn keine Heilsbedeutung gehabt.

 

Die meisten Theologen würden sich daher, so Kubitza, zwar artig zum geschichtlichen Jesus wie zu einer Ehefrau bekennen, ihre Leidenschaft aber gelte dem dogmatischen Christus als ihrer heimlichen Geliebten. Nur die Liebe (die angenehmste Form des Wahnsinns) könne erklären, warum gestandene Männer und Frauen, die sich selbst als Wissenschaftler verstanden wissen wollen, wenn sie von Jesus redeten, ins Schwärmen gerieten wie pubertierende Pennäler.

 

Auf die Frage, wie hoch er die Wahrscheinlichkeit einschätze, dass Jesus überhaupt existiert hat, führte er aus: Es gab und gibt einzelne Theologen, wie z.B. Hermann Detering, die behaupten, dass er ein reiner Mythos sei, aber man schaffe sich damit tatsächlich mehr Probleme, als man löse.

 

Er selbst gehe davon aus, dass Jesus wohl eine historische Person war, die immer mehr mythologisiert wurde. Denn wenn man davon ausgehe, dass er erfunden wurde, warum habe man ihn dann mit so vielen Fehlern ausgestattet, warum ließ man ihn taufen, warum kreuzigen, warum einen so gängigen Namen tragen, warum einen so provinziellen Geburtsort haben?

 

Die jüdische Sicht auf Jesus sei schon immer viel realistischer gewesen, wie die Forschung festgestellt habe: ein Mensch aus seiner Zeit, vermutlich verheiratet, weil er sonst angegriffen worden wäre.

 

Wenn es in Jesus’ Worten wirklich eine göttliche Offenbarung gegeben habe, dann sei es sein gravierendster Fehler gewesen, nichts Schriftliches hinterlassen zu haben. Alles sei aus zweiter oder dritter Hand überliefert und daher sicher voller Missverständnisse. Eventuell hat er auch deshalb nichts Schriftliches hinterlassen, weil die Welt ja bald untergehen sollte. Aber wenn Jesus doch tatsächlich sagte, dass einige Zeitgenossen das Reich Gottes noch erleben würden, hätte man ja spätestens im zweiten Jahrhundert zur Kenntnis nehmen müssen, dass er sich geirrt hatte…

 

Die These vom Seitensprung Marias mit dem römischem Offizier Panthera bezeichnet Kubitza als Legende: Sie tauchte erst 200 Jahre später auf und ist daher sicher kein historisches Zeugnis mehr. Aber dass Jesus öfter nur als „Sohn der Maria“ bezeichnet wurde, könnte darauf hinweisen, dass er unehelich geboren war…

 

Zur Frage, wie denn die Theologen auf seine Bücher reagierten, war die Antwort knapp: sie würden grundsätzlich ignoriert. Er plane aber, alle bekannten evangelischen Theologen auf das neue Buch hinzuweisen. Er rechnet damit, dass es zwar gelesen wird, aber nicht rezipiert, da „man“ damit kaum etwas zu gewinnen habe… Er behandele in seinem Buch nur die gängigen theologischen Ansichten, mit Extrempositionen würde er es den Gegnern zu leicht machen. Diese gängigen Positionen kämen aber nicht in Predigten vor. Wenn die berühmten „wissenschaftlich vergeistigten“ Theologen mitunter einmal zu Predigten eingeladen würden, sei er teilweise schockiert, wie anders gegenüber dem „gemeinen Volk“ gepredigt werde.

 

Er habe auch Freunde unter Pfarrern, mit denen er zusammen studiert habe, von denen einige sagen würden: „Jetzt bin ich 40 oder 50 Jahre alt, ich habe doch nichts anderes gelernt…“ Oder: „Ich glaube halt Nonsens, das tut gut.“ Oder man verschreibe sich allein der Religion als Wellness: Es ist so ein tolles Gefühl im Gottesdienst.

 

Gefährlich seien die Auswirkungen von Dogmen auf die Realität: aus der Idee von der Reinheit Mariens etwa, wahrscheinlich ohnehin nur ein Übersetzungsfehler, ergebe sich nach wie vor die Haltung der Kirchen zu Abtreibung und PID, zur Stellung der Frau allgemein, die ja eigentlich so sein sollte wie Maria…

 

Religion, so Kubitza, war einst ein Selektionsvorteil und wird daher nicht schnell verschwinden. Heute ist sie zum Hindernis geworden; die Welt sähe ohne viel friedlicher aus.

 

Auf die Frage, was ihn denn letztlich zum Bruch mit der Theologie geführt habe, erklärte er, über die Kenntnisse, welche er im „Jesuswahn“ dargelegt hat, habe er zwar schon damals verfügt, sie sich aber immer wieder so „zurechtgebastelt“, dass er dann doch seinen Glauben nicht aufgeben musste. Ausgetreten aus der Kirche war er zunächst nur aus Protest, weil für eine Kirchenorgel extrem viel Geld verschwendet wurde.

 

Erst später sei er kritisch geworden, nachdem er sein „Damaskus-Erlebnis“ hatte: das Buch „Denn sie wissen nicht was sie glauben“ von Franz Buggle.

 

Bis dahin hatte er die negativen Stellen in der Bibel immer komplett überlesen. Denn tatsächlich, auch Theologen tun sich schwer mit der so teilweise zähen und langweiligen Bibel-Lektüre: man blättert einfach weiter, bis man etwas findet, was einem gefällt. Und wenn man etwas Grausames liest, dann blättert man einfach weiter.

 

Das Wesen der Bibel wie auch des Korans sei es, dass sich immer beides darin befinde: Schreckliches wie Angenehmes, daher könne man diese Schriften für alles heranziehen und niemals auf ihrer Grundlage ein funktionierendes faires Gemeinwesen gründen. Dies könne man nur auf Basis der Menschenrechte und allgemeingültigen Vereinbarungen wie dem Grundgesetz.

 

Auf die Schlussfrage, wie man denn am sinnvollsten schon im Vorfeld den in zwei Jahren anstehenden „Luther-Käßmann-Festspielen“ begegnen könne, verwies er auf schon bestehende Flyer, die es zu ergänzen gälte, und welche vor allem „unter das Volk“ zu bringen seien: aufklären, bis sich die Theologen eigentlich schämen müssten, sich auf solcherlei Huldigungsveranstaltungen blicken zu lassen. Huldigungsveranstaltungen, zu denen man mit großer Sicherheit mit den Worten aus Kubitzas „Dogmenwahn“ wird sagen müssen: Hier wird „die intellektuelle Redlichkeit gekreuzigt“.

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