Humanismus statt Religion

von Bernd Vowinkel

Grundlagen des Humanismus

 

Die Grundlagen des Humanismus lassen sich bis ins alte Griechenland zurückverfolgen. So vertraten bereits die Philosophen Heraklit und Protagoras den Lehrsatz: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“. Mit dem Beginn der Renaissance im 15. Jahrhundert etablierte sich der Humanismus als Gegenbewegung zur Scholastik. Man spricht daher auch vom Renaissance-Humanismus. Mit ihm ging ein kultureller und sozialer Wandel einher. Der berühmteste und einflussreichste Humanist der frühen Neuzeit war Erasmus von Rotterdam. Während des Zeitalters der Aufklärung wurde der Humanismus weiter untermauert. Werke wie die von Immanuel Kant zeigten, dass man eine Ethik auch ohne Religion, rein auf der Basis der praktischen Vernunft begründen kann. Man kann folgende Grundüberzeugungen des Humanismus anführen:

 

Das Glück und Wohlergehen des einzelnen Menschen und der Gesellschaft bilden den höchsten Wert, an dem sich jedes Handeln orientieren soll. Die Würde des Menschen, seine Persönlichkeit und sein Leben müssen respektiert werden. Der Mensch hat die Fähigkeit, sich zu bilden und weiterzuentwickeln. Die schöpferischen Kräfte des Menschen sollen sich entfalten können. Die menschliche Gesellschaft soll in einer fortschreitenden Höherentwicklung die Würde und Freiheit des einzelnen Menschen gewährleisten.

 

Obwohl der erste Punkt in Konflikt mit der christlichen Lehre steht, gab es dennoch eine Zeit in der die katholische Kirche den Humanismus gefördert hat. So gilt Papst Pius II (1405 -1464) selbst als bedeutender Humanist. Trotzdem hat der Vatikan den Humanismus nie als eine dem Glauben übergeordnete Idee akzeptiert.

 

Humanismus und Atheismus

 

In den letzten Jahren kam der Begriff des „Neuen Atheismus“ auf. Als eine Zentralfigur dieser Bewegung kann man Richard Dawkins identifizieren, der mit seinem religions-kritischen Buch „Der Gotteswahn“ Aufsehen erregt hat. Seitdem verbindet man mit dem Neuen Atheismus auch eine gewisse Respektlosigkeit vor dem religiösen Glauben. Genau genommen müsste eigentlich von Agnostizismus die Rede sein, weil sich die Neuen Atheisten nicht im Besitz absoluter Wahrheiten wähnen. Da sie aber von „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ reden, haben sie mit der Bezeichnung „Neue Atheisten“ in der Regel keine Probleme.

 

Atheismus ist im wesentlichen Religionskritik und ist daher für sich genommen noch keine vollständige Weltanschauung. Was hier hinzukommen muss, sind säkulare Werte und eine auf den Naturwissenschaften aufbauendes Verständnis der Welt. In dieser Kombination wird neuerdings von einem „Neuen Humanismus“ gesprochen. Die Frage stellt sich dann, was das Neue am Neuen Humanismus ist. Der Neue Humanismus berücksichtigt vor allem die gewaltigen Fortschritte der letzten Jahrzehnte in Naturwissenschaft, Technik und Medizin. Diese Fortschritte haben zu einem erheblich verbesserten naturwissenschaftlich fundierten Weltbild und Menschenbild geführt. Der Neue Humanismus trägt dem Rechnung, indem er die Prämissen der Naturwissenschaften anerkennt und übernimmt. Es sind dies:

 

Realismus: Die Welt ist real vorhanden.

 

Rationalismus: Wir können die Welt mit unserem Verstand erfassen.

 

Naturalismus: Es geht in der Welt mit „rechten“ Dingen zu, d.h. es läuft alles im Rahmen der Naturgesetze ab. Es gibt keine Wunder, Götter oder Dämonen.

 

Insbesondere die Prämisse des Naturalismus steht in eklatantem Widerspruch zu den mono-theistischen Religionen. Insofern kann es keine Versöhnung zwischen Neuem Humanismus und diesen Religionen geben.

 

Schopenhauer schreibt zu diesem Thema: „Der religiöse Glaubensakt ist eine Angewöhnung geistiger Grundsätze ohne gute Gründe. Denn gäbe es gute Gründe für die christliche Lehre, dann wüssten wir sie und brauchten sie nicht zu glauben.“

 

Ethik ohne Religion

 

Von Religionsvertretern wird häufig behauptet, dass es ohne Religion keine Ethik gäbe. Selbst viele Eltern, die vom Glauben abgefallen sind, lassen ihre Kinder dennoch am Religionsunterricht teilnehmen, weil sie der Meinung sind, dass ihnen nur auf diese Weise Werte vermittelt werden könnten. Diese Einstellung impliziert, dass Nichtgläubige über keine oder aber nur über eine minderwertige Ethik verfügen. Diese Haltung ist nicht nur überheblich, sondern auch restlos falsch.

 

Eine gottgegebene Ethik bereitet prinzipielle Probleme. Schon Sokrates hat erkannt, dass eine solche Ethik zu einem logischen Dilemma führt: Sind Gottes Gebote deshalb gut, weil Gott sie gebietet? Wenn ja, wäre es dann moralisch gerechtfertigt, Kinder zu foltern oder zu ermorden, wenn Gott ein entsprechendes Gebot aufstellte? Christen gehen davon aus, dass sie für ein gottgefälliges, moralisches Leben im Jenseits belohnt werden, indem sie ins Paradies kommen. Wer aber aufgrund von Heilsversprechen Gutes tut, der handelt letztlich aus niedrigen Beweggründen.

 

Den meisten Vertretern einer ausschließlich religiös fundierten Ethik ist offensichtlich nicht bekannt, dass es eine ganze Reihe von philosophischen Ansätzen für eine Ethik ohne Religion gibt. Angefangen vom Hedonismus der Griechen (Epikur), über das Zeitalter der Aufklärung (Kant, Schopenhauer) bis zum Utilitarismus der Neuzeit (Bentham, Mill). Gerade der moderne Utilitarismus in der Form des Regelutilitarismus (nach Mill) mit Ergänzungen der Fairness und der Gerechtigkeit (nach Lyons) ist der christlichen Ethik nicht nur ebenbürtig, sondern weit überlegen, weil seine Quellen ausschließlich Verstand und Erfahrung sind und weil auf Hokuspokus vollständig verzichtet wird. Eben dadurch steht er aber auch mit seinen Grundlagen jeder religiösen Ethik entgegen.

 

Unabhängig von diesen mehr theoretischen Überlegungen sind ethisches bzw. moralisches Verhalten etwas, was der wissenschaftlichen Forschung bzw. der empirischen Überprüfung durchaus zugänglich ist. So gab es insbesondere in den USA eine Reihe von Untersuchungen zu dieser Frage.

 

Altruismus ist keineswegs beschränkt auf religiöse Menschen und er ist noch nicht einmal auf den Menschen selbst beschränkt. So zeigt N.Barber (1) in seinem Buch „Kindness in a cruel world: The evolution of altruism“ dass die Entwicklung von Altruismus Teil der natürlichen Evolution ist und auch bei höher entwickelten Säugetieren, wie z.B. Affen gefunden wird.

 

In einer Studie (2) wurde festgestellt, dass atheistische Studenten weniger häufig als religiöse Studenten bei Examensarbeiten zu Betrug neigten. Andere psychologische Studien fanden heraus, dass religiöser Glaube die moralische Entwicklung verkümmern lässt, weil religiöse Menschen Moral mit einem festgelegten Dogma verbinden, anstatt sich selbst moralisches Verhalten zu erarbeiten.

 

Fundamentalistische Religionen unterminieren moralische Begründungen. Menschen, die der festen Überzeugung sind, nach dem Tod ins Paradies zu gelangen, ist es relativ egal, welchen Schaden sie auf der Erde anrichten, solange sie der Ansicht sind, dass ihre Taten gottgefällig sind. So zeigte eine Studie (3), dass solche Leute mit einer größeren Wahrscheinlichkeit betrunken Auto fahren, verbotene Drogen nehmen und illegalen Sex ausüben.

 

Viele religiöse Texte ermahnen die Menschen, mit Leidenschaft wohltätig zu sein. Aber Sozialwissenschaftler haben über die letzten Jahrzehnte hinweg keinen Beweis dafür gefunden, dass dies das Verhalten entscheidend beeinflusst. Der Soziologe Alfie Kohn (4) fand im Einzelnen Folgendes heraus:

 

a) In Interviews, die 1984 mit 700 Einwohnern einer mittelgroßen Stadt geführt wurden, zeigte sich, dass religiöse Menschen keine besseren Einwohner in Bezug auf ihr Verhältnis zu Nachbarn und der Beteiligung an örtlichen Organisationen waren.

 

b) Menschen die während der Nazi-Herrschaft in Deutschland Juden retteten, waren nicht religiöser als diejenigen, die nicht geholfen haben.

 

c) Religiöse Menschen sind intoleranter gegenüber ethnischen Minoritäten

 

Eine Studie (5) von 2006 in entwickelten Ländern zeigte, dass solche mit einem höheren Anteil an religiösen Gläubigen, mehr Morde, mehr Teenager-Schwangerschaften und mehr Geschlechtskrankheiten aufwiesen. Eine weitere Studie (6) von 2008 über Ethik in konfessionellen und in staatlichen Schulen zeigte kaum Unterschiede bei selbst zugegebenen Diebstählen oder Lügen gegenüber den Eltern. Allerdings beim Schummeln schnitten die konfessionellen Schulen schlechter ab.

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass für die Vermittlung ethischer Werte der Glaube und damit auch der Religionsunterricht absolut nichts bringt. Es gibt im Gegenteil sogar Hinweise, dass Religiosität eher kontraproduktiv ist. Für Deutschland sollten wir daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass es besser wäre, den Religionsunterricht als Pflichtschulfach generell abzuschaffen und durch einen säkularen Ethikunterricht zu ersetzen, so wie das in Berlin schon der Fall ist.

 

Quellen:

 

1. Barber, N. (2004). Kindness in a cruel world: The evolution of altruism. Amherst, NY: Prometheus.

 

2. Clark, B. (1994). How religion impedes moral development. Free Inquiry, 14(3), 23-25

 

3. Freethought Today, September 1991, p. 12.

 

4. Kohn, A. (1990) The brighter side of human nature: Altruism and empathy in everyday life. New York: Basic.

 

5. Wuthnow, R (1994). God and mammon in America. New York: The Free Press.

 

6. Josephson Institute (2008). Report card on the ethics of American youth.

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