Die Unvereinbarkeit von Naturwissenschaften und Religion

…und warum die Religion der ärgste Feind der Wissenschaft ist

von Bernd Vowinkel

 

Von den Vertretern der Geisteswissenschaften und hier insbesondere von den Theologen wird häufig der Standpunkt vertreten, dass die Naturwissenschaften nur einen Teil der Realität bzw. der Wahrheit mit ihren Methoden erfassen können und dass man nur über den religiösen Glauben in den Besitz absoluter Wahrheiten kommen kann. Zuweilen wird gar der in sich widersprüchliche Begriff der Glaubenswahrheit verwendet. Die Erkenntnisse der Natur­wissenschaften sind sozusagen in eine übergeord­nete Wahrheit eingebettet, zu der nur der Glaube Zugang verschafft. Daneben gibt es Dinge wie Werte, Moral und Sinn, die angeblich nur der Glaube ergründen kann. Demzufolge wird die Theologie neben den Natur­wissen­schaften als gleichrangige oder gar übergeordnete Wissenschaftsdisziplin ein­gestuft.

Die Theologie ist keine Wissenschaft

Die Idee, dass es sich bei der Theologie überhaupt um eine Wissenschaft handelt, stammt von Thomas von Aquin. Er sah im Glaubensbekenntnis die gleiche Rolle wie die der Axiome in der Mathematik. Sein Wissenschaftsanspruch geht auf Aristoteles zurück, der Axiome für so evident hielt, dass sie keiner weiteren Begründung mehr bedürfen. Was hier allerdings meistens übersehen wird, ist die Tatsache, dass die Axiome der Mathematik für alle einsichtig sind, die über ein gewisses Maß an Intelligenz verfügen. Bei den Glaubensgrundsätzen scheint diese Einsicht aber irgendwie ortsabhängig und von der Erziehung abhängig zu sein. Außer­dem gibt es einen erheblichen Prozentsatz von gebildeten Leuten, die diese Grundsätze restlos ablehnen, weil sie ihnen völlig unvernünftig erscheinen.

Die heutige Wissenschaftstheorie ist vom Evidenzanspruch der Axiome wieder abgerückt. Sie sieht in den Axiomen bzw. Prämissen Setzungen oder Annahmen über deren absoluten Wahrheitsgehalt keine Aussagen gemacht werden können. Demzufolge werden Erkenntnisse und Theorien der Naturwissenschaften nicht mehr als absolut wahr gesehen, sondern man sieht in den Theorien mehr oder weniger brauchbare modellhafte Beschreibungen der Realität. Genauere Theorien liegen näher an der Wahrheit und sind damit bessere Beschreibungen. Die bisher bekannten Theorien haben darüber hinaus Gültigkeitsgrenzen. Eine „Theorie für Alles“ d.h. eine Theorie ohne Gültigkeitsgrenzen ist im Moment nicht in Sicht, kann aber für die Zukunft auch nicht restlos ausgeschlossen werden.

Zu den Prämissen1 der Naturwissenschaften zählen der Realismus, der Rationalismus und der Naturalismus. Der extrem entgegen gesetzte Standpunkt zum Realismus ist der Solipsismus. Er kann nicht widerlegt werden, ist aber auch nicht wirklich wert, tiefer diskutiert zu werden. Dennoch gibt es in den modernen Theorien der Physik (Quantenmechanik, Superstringtheorie und Schleifenquantengravitation) Ansätze, die den Realismus in seiner althergebrachten Form in Frage stellen. Über die Plausibilität des Realismus können aber letztlich nur die Natur­wissenschaften selbst objektive Einschätzungen abgeben.

Mit dem Standpunkt des Rationalismus gehen die Wissenschaftler/innen davon aus, dass die Natur mit dem menschlichen Verstand im Prinzip verstehbar ist, was ebenfalls keineswegs selbstverständlich ist und wohl auch nur für einen eher kleinen Teil der Bevölkerung zutrifft. Der Naturalismus verbietet, bei Erklärungen von Vorgängen der Natur auf mystische Substanzen und Phänomene zurückzugreifen, vielmehr geht es in der Natur mit „rechten Dingen“ zu, d.h. ausnahmslos auf Basis der Naturgesetze. Es gilt hier das Prinzip des ontologischen Sparprogramms, bekannt unter der Bezeichnung „Okhams Rasiermesser“. Dieses Prinzip besagt, dass einfache Erklärungen von Naturphänomenen den komplizierten vorzuziehen sind. Mystische Erklärungen gelten dabei als unbrauchbar, weil sie die Naturvorgänge nicht auf einfache Grundprinzipien reduzieren, sondern sie mit noch komplexeren Dingen versuchen zu erklären. Da es keine Belege für Übernatürliches jedweder Art gibt, kann man nur auf die Nichtexistenz des Übernatürlichen schließen. Der Naturalismus wurde von Anfang an von den monotheistischen Religionen abgelehnt. So verurteilte ihn die katholische Kirche von Anfang an als Irrlehre (z.B. im „Syllabus“ von 1864).

Obwohl die drei Prämissen keinen Anspruch auf absolute Wahrheit haben, sind sie dennoch für die Naturwissenschaften eine zwingende Voraussetzung und die empirische Erfahrung zeigt, dass sie sich bewähren. So hat sich gezeigt, dass man mit den Erkenntnissen der Naturwissen­schaften und der Mathematik funktionierende Maschinen und Apparate bauen kann und sogar Krankheiten heilen kann. Die für viele Menschen schwer verständlichen, physikalischen Theorien der Quantenmechanik und die Relativitätstheorie werden häufig als esoterische Gedankenspiele von vergeistigten Naturwissenschaftlern angesehen. Dabei wird übersehen, dass etwa ein Drittel unseres Bruttosozialproduktes mit Bauteilen und Geräten erzeugt wird, die mit Hilfe der Quantenmechanik entwickelt wurden. Unsere Navigations­geräte funktionieren nur, weil die Effekte der speziellen und der allgemeinen Relativitätstheorie bei der Positionsberechnung berücksichtigt werden. Wenn es sich bei den Naturwissenschaften lediglich um Mythen handeln würde, wären diese gewaltigen Erfolge wohl kaum möglich.

Bei der Theologie liegen die Dinge völlig anders. Zu der Frage, ob es sich bei der Theologie überhaupt um eine Wissenschaft handelt, hat der protestantische Theologe Wolfhart Pannenberg2 mit seinem Buch „Wissenschaftstheorie und Theologie“ einen guten Beitrag geleistet. Er formuliert vier Kriterien zur Beurteilung der Wissenschaftlichkeit:

1) Kohärenz: Die Aussagen einer gegebenen Wissenschaft behandeln einen einheitlichen Gegenstandsbereich.

Der Gegenstandsbereich der Theologie ist Gott, der nach Aussage der Theologie die Eigen­schaft hat „die alles bestimmende Wirklichkeit“ zu sein. Damit schwingt sich die Theologie nach eigener Ansicht zu einer Wissenschaft auf, die letztlich für alles zuständig ist und für alles letzte Erklärungen liefert. Naturwissenschaftler/innen können das nur als reinen Größenwahn bezeichnen.

2) Wahrheit: Die Aussagen einer Wissenschaft sind Behauptungen über Sachverhalte, die entweder wahr oder falsch sind.

Wie sollte man aber entscheiden, ob die Aussage „es gibt einen Gott“ wahr oder falsch ist? Beide möglichen Positionen sind weder beweisbar noch empirisch überprüfbar. Das hält allerdings einige übermütige Theologen nicht davon ab, Gottesbeweise vorzustellen (siehe z.B. Spaemann3 „Der letzte Gottesbeweis“; Rezension: http://hpd.de/node/4692). Zuweilen berufen sich Gläubige in Bezug auf die Existenz Gottes auf persönliche Offenbarungen. Da diese aber nicht objektivierbar sind, sind sie für die Allgemeinheit ohne Bedeutung. Merkwürdigerweise scheinen auch diese Offenbarungen ortsabhängig zu sein. So haben Christen Offenbarungen in denen ihnen z.B. Jesus oder Maria erscheint. Mohammedanern erscheint Mohammed oder Allah.

3) Kontrollierbarkeit: Wissenschaftliche Aussagen können überprüft werden.

Nach Meinung der meisten Theologen steht diese Forderung im Gegensatz zur göttlichen Autorität. Da fragt man sich, wie etwas oder jemand über Autorität verfügen kann, wenn nicht einmal seine Existenz kritisch hinterfragt werden darf. Was dahinter steckt, ist ganz offensichtlich eine Selbstimmunisierung gegen kritische Fragen.

4) Theologische Thesen sind Hypothesen, die den Prüfkriterien (d.h. der Falsifizierbarkeit) nach der Wissenschaftstheorie von Karl Popper4 unterliegen.

Viele der theologischen Thesen beruhen auf Transzendenz. Auch einige naturwissen­schaftliche Thesen sind so entstanden. Diese haben zunächst den Status von Hypothesen. Stellt sich heraus, dass solche Hypothesen grundsätzlich den Prüfkriterien nicht zugänglich sind, so haben sie zur Erklärung von Naturphänomenen oder Teilen unseres Weltbildes keinerlei Aussagekraft. Die Forderung nach Falsifizierbarkeit, wie sie der Philosoph Popper formuliert hat, ist zwar inzwischen in Kritik geraten, dennoch müssen sich theologische Thesen den Prüfkriterien der aktuellen Wissenschaftstheorie stellen, wenn sie den Anspruch auf Wissen­schaftlichkeit aufrecht erhalten wollen. Nun zeigt sich aber, dass sämtliche theologischen Thesen und insbesondere die theologischen Dogmen an allen wissen­schaftlichen Prüfkriterien scheitern. Hier könnte natürlich ein Theologe sagen, dass es sich bei den Dogmen um Axiome handelt, die nicht weiter zu hinterfragen sind und es kommt letztlich nur auf die Bestätigung ihrer Folgerungen an. Wer so argumentiert, muss sich dann allerdings fragen lassen, ob sich die Wirklichkeit überzeugender erschließt, wenn man davon ausgeht, dass Gott existiert und dass Jesus Gottes Sohn ist.

Zusammenfassend muss man feststellen, dass es sich bei der Theologie nicht um eine Wissenschaft handelt. Sie ist vielmehr eine Kunst, Dinge zu beweisen, die es nicht gibt und die Keiner wirklich braucht. Aus diesen Gründen sollte die Theologie als Lehrfach an den Universitäten abgeschafft werden, denn hier werden Steuergelder in eine Pseudowissenschaft gesteckt.

Grundlegende Unterschiede zwischen Naturwissenschaften und Religion

Die Naturwissenschaften suchen nach einfachen Grundprinzipien aus denen sich die Komplexität der Natur aufbaut und erklären lässt. Die Religion versucht dagegen die Natur durch ein noch größeres komplexeres Dasein zu erklären. Dies ist genau genommen das Gegenteil dessen, was wir unter Erklärung verstehen.

Im Mittelpunkt der Erkenntnisquellen der Naturwissenschaften steht die Empirie, d.h. die Beobachtung und das Experiment. Mit Hilfe des menschlichen Verstandes, der Vernunft, sowie der Mathematik wird daraus versucht, allgemeingültige Modelle und Regeln in Form von Algorithmen (Formeln) aufzustellen. Diese Modelle haben nicht den Anspruch die absolute Wahrheit zu verkörpern, sondern sie sind mehr oder weniger gute Beschreibungen der Wirklichkeit. Alle bisherigen physikalischen Modelle haben Gültigkeitsgrenzen. An einer allumfassenden, physikalischen Theorie ohne Gültigkeitsgrenzen, d.h. eine „Theorie für Alles“ wird derzeit intensiv geforscht. Ob dieses Ziel erreicht werden kann, ist eine offene Frage. Aus diesen Gründen sehen sich die Naturwissenschaften nicht im Besitz absoluter Wahrheiten.

Als Erkenntnisquellen der christlichen Religion werden genannt: die Bibel, persönliche Offenbarungen, Wunder und die Vernunft. Die Theologin Uta Ranke Heinemann5 hat in ihrem Buch „Nein und Amen“ aufgezeigt, wie gering der Wahrheitsgehalt der Bibel ist. Evangelien widersprechen sich teilweise. Der geschichtliche Hintergrund passt zuweilen nicht richtig usw. Die Evangelien im Neuen Testament sind Jahrzehnte nach dem Tod Jesus nieder­geschrieben worden, was schon für sich genommen stark am absoluten Wahrheitsgehalt zweifeln lässt. Es sind keineswegs Augenzeugenberichte, sondern Niederschriften vom Hörensagen mit zweifelhafter Herkunft, die zudem im Nachhinein auch noch für die Bedürfnisse der Kirche manipuliert wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt einen historischen Jesus gegeben hat, ist äußerst gering. Die Bibel ist die Niederschrift von Mythen und sie ist Menschenwort und nicht Gottes Wort. Wer an die unbefleckte Empfängnis Marias und an die Himmelfahrt Jesus glaubt, muss sich ein gehöriges Maß an Naivität vorwerfen lassen.

Offenbarungen sind subjektive Erlebnisse deren Wahrheitsansprüche nicht belegbar sind. Als allgemeine, objektive Erkenntnisquellen sind sie völlig untauglich. Psychologen und Hirnforscher können dagegen diese Effekte mittlerweile problemlos erklären. Für Wunder gibt es keine belastbaren Aussagen. Wunder­heilungen konnten bisher nie medizinisch belegt werden. Nachdenklich macht auch, dass noch nie berichtet wurde, dass Gott z.B. einem Beinamputierten ein Bein hat nachwachsen lassen. Wenn er allgerecht und allmächtig ist, sollte man das von ihm erwarten können und es sollte für ihn auch kein Problem darstellen.

Bliebe noch die Vernunft. Gerade in letzter Zeit gibt es wieder erneute Bemühungen, in Ermangelung anderer belastbarer Erkenntnisquellen, die Vernunft zu bemühen. Dabei hat schon Immanuel Kant6 in seinem Werk „Die Kritik der reinen Vernunft“ aufgezeigt, dass das nicht gelingen kann. Ein neuer Versuch ist z.B. das Buch „Der aufgeklärte Gott, wie die Religion zur Vernunft kam“ von A. Kissler7. Dieses Buch ist im Wesentlichen eine Abrechnung mit dem Neuen Atheismus, bringt aber bezüglich der Vernunft keine wirklich neuen Gedanken.

Gerade der fehlende Bezug zur Vernunft und die mangelnde Überprüf­barkeit führen zu einer Beliebigkeit der Religionen. So gibt es eine Vielzahl von unter­schiedlichen Religionen, von denen jede von sich behauptet, die einzig wahre zu sein. Es kann aber nur eine Wahrheit geben und daher kann nur höchstens eine Religion die einzig wahre sein. So verspricht z.B. das Christentum die Erlösung, wenn man Jesus als Sohn Gottes anerkennt, während der Koran für genau den gleichen Glaubensgrundsatz ewige Höllenqualen androht. Wenn man sich nun für eine Religion entscheidet, so ist rein statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit die Richtige und einzig wahre zu treffen der Kehrwert der Zahl der Religionen. Wenn wir mal annehmen, dass wir nicht die einzigen intelligenten Lebewesen in dieser Welt sind und dass zumindest in einer Übergangsphase alle Zivilisationen auch Religionen entwickeln, so geht die Wahrscheinlichkeit die einzig wahre Religion zu treffen in die Nähe von Null. Fazit: gerade die Vielzahl und die Beliebigkeit der Religionen zeigen, dass sie mit Vernunft, Wahrheit und Realität nichts zu tun haben können.

Ein weiterer Unterschied zwischen der Naturwissenschaften und der Theologie ist, dass offene Fragen und alternative Erklärungsvorschläge in den Naturwissenschaften beantwortet und entschieden werden können. Alte Konzepte (wie z.B. der Äther in der Physik und die Lebenskraft in der Biologie) werden über Bord geworfen, wenn sie sich als untauglich erweisen. In der Theologie aber gibt es keinen wirklichen Fortschritt. Das Einzige was man notgedrungen aufgrund des enormen Druckes von Seiten der Naturwissenschaften unter­nimmt, ist der Versuch, sich durch geschickte Uminterpretationen der Bibel zu immunisieren. Unsere Wissenschaftsgeschichte hat gezeigt, dass sich mystische Erklärungen von Natur­phänomenen auf die Dauer immer als falsch herausgestellt haben. Dennoch hält die Theologie leidenschaftlich am Leib-Seele Dualismus fest, weil ansonsten ihr Menschenbild und damit ihre gesamte Grundlage in sich zusammenbrechen würden.

Nun wird nicht zu Unrecht gesagt, dass die Naturwissenschaften nur einen Teil der Wirklichkeit beschreiben. Sie geben keine Antworten auf Fragen wie die nach der Ästhetik, der Ethik, der Moral und dem Sinn. Diese Fragen sind Gegenstand der Geistes- und Gesellschafts­wissenschaften. Dennoch zeigt sich in jüngerer Zeit, dass viele dieser Fragen letztlich doch auf naturwissenschaftliche Grundprinzipien zurückgeführt werden können. Der neue Forschungs­zweig der evolutionären Psychologie7, 8 zeigt, dass es z.B. für die Ästhetik evolutionäre Erklärungen gibt. Ähnliches gilt für die Ethik. Weiterhin gibt die moderne Hirnforschung neue Erklärungsansätze für die volle Bandbreite menschlicher Verhaltens­weisen. Selbst für die Liebe, so mysteriös und komplex sie auch sein mag, besteht die Aussicht, in naher Zukunft vollständig erklärt zu werden.

Die Frage nach dem letzten Sinn des Universums und unserer eigenen Existenz ist eine aus der Alltagserfahrung abgeleitete Projektion in die Ewigkeit. Es gibt jedoch keinen Grund, warum es überhaupt einen letzten Sinn geben müsste. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat weder unsere Existenz noch das Universum einen letzten höheren Sinn. Die Suche nach dem Sinn ist vielmehr Ausdruck der Wunschvorstellung, dass der Mensch ein erhabenes Wesen im Kosmos ist, das zu Höherem geboren ist. Die christliche Religion hat zwar eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, aber diese Antwort ist einerseits völlig aus der Luft gegriffen und andererseits von zweifelhaftem Wert. So fragt der Philosoph A.J.Ayer9:

Was ist eigentlich so tröstlich an dem Gedanken, eine Marionette in der Hand eines höheren Wesens zu sein?

Der religiöse Glaube hat keinen anderen Zugang zur Wahrheit oder zur Realität, sondern er hat dazu überhaupt keinen Zugang. Die religiösen Dogmen haben ebenfalls keinerlei Bezug zur Realität. Sie entsprechen vielmehr den Wunschvorstellungen einiger Fehlgeleiteter. Wissenschaft und hier insbesondere die Naturwissenschaften haben in der Beschreibung der Welt eine grandiose Erfolgsgeschichte aufzuweisen. Stark vereinfacht kann man auch sagen: Wissenschaft beschreibt die Realität, Religion beschreibt Wunsch- und Wahnvorstellungen.

Offene Fragen unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes

Es bleiben dennoch zwei offene Fragen in unserem naturwissenschaftlich fundierten Weltbild. Die erste ist die nach der Entstehung unserer Welt. Die Urknalltheorie gilt zwar mittlerweile als weitestgehend gesichert, aber die Frage, ob es eine Zeit vor dem Urknall gab, ist noch offen. Zur Beantwortung fehlt eine „Theorie für Alles“ die die vier Grundkräfte der Natur miteinander vereint. Immerhin gibt es dazu Ansätze in der Superstringtheorie und der Schleifen­quantengravitation. Auch die römisch-katholische Kirche hat schon 1951, für ihre Verhältnisse äußerst schnell, offiziell erklärt (Papst Pius XII in einer Rede vor der päpstlichen Akademie der Wissenschaften), dass die Urknall-Theorie mit der Bibel in Einklang steht, denn offensichtlich war dies der Zeitpunkt des Schöpfungsaktes unserer Welt. Es war damit das erste Mal, dass eine Naturwissenschaft einen Glaubensgrundsatz zu bestätigen schien. Dies bekräftigte der vatikanische Astronom William Stoeger mit den Worten: „Die Erkenntnis vom Urknall hat das Bild Gottes veredelt“. Die Genugtuung darüber war aber etwas verfrüht, denn eine genauere Betrachtung führt auch hier zu Widersprüchen. Aber selbst wenn man von diesen Widersprüchen absieht, würde die Annahme eines Schöpfungsaktes nichts wirklich erklären, sondern nur neue Fragen aufwerfen. Wenn Gott die Welt erschaffen hat, so verschieben sich die Fragen des Anfangs der Zeit auf Gott selbst. Existiert er schon ewig? Wenn ja, warum hat er unsere Welt erst vor 14 Milliarden Jahren erschaffen und nicht schon vor ewigen Zeiten? Wenn es auch für ihn einen Beginn der Zeit gibt, stellt sich die Frage, wer hat ihn erschaffen? Die Fragen bleiben also gleich, nur dass anstelle des Universums jetzt Gott tritt. Der Unterschied ist aber der, dass die Existenz des Universums gewiss ist, die von Gott nicht. Mystische Erklärungen von Naturphänomenen sind keine wirklichen Erklärungen sondern Verschleierungen. Naturwissenschaftler/innen brauchen zur Erklärung der Natur keinen Gott und deshalb glauben auch die meisten auch nicht an ihn.

Die zweite noch vorhandene Erklärungslücke sind die besonderen Fähigkeiten unseres Gehirns. Dennoch konnten auch hier in den letzten Jahrzehnten gewaltige Fortschritte gemacht werden. Der bekannte Informatik-Professor Christof Koch10 schreibt dazu:

Den Geisteswissenschaften ist es trotz oftmals heroischer Bemühungen über viele Jahrhunderte nicht gelungen, allgemein anerkannte Erkenntnisse zu entwickeln, wie die Kluft zwischen Körper und Geist, die als Leib-Seele-Problem bekannt ist, überwunden werden kann.

…In den letzten Jahrzehnten haben wir (Anm. über die Neurowissenschaften) mehr über das Gehirn gelernt als in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor.

…Ob uns eine endgültige Theorie des Bewusstseins aus praktischen, methodischen oder ontologischen Gründen versagt bleiben wird, kann nur die Neurowissenschaft ergründen.

Nach dem heutigen Stand der Neurobiologie resultieren die Leistungen des Gehirns aus den Schalteigenschaften der Neuronen und ihrer „Verdrahtung“ zu einem neuronalen Netz. Die biochemischen und Signal verarbeitenden Abläufe in den Nervenzellen sind schon relativ gut verstanden. Die Organisation unseres Gehirns im Großen ist durch bildgebende Verfahren (z.B. funktionelle Kernspintomografie (fMRT), Elektroenzephalographie (EEG) und Magnet­enzephalographie (MEG)) ebenfalls recht gut erforscht. Weniger bis überhaupt nicht bekannt sind dagegen die Abläufe einzelner Gedanken und darauf aufbauend solche Dinge wie Bewusstsein, grundlegende Gefühle (Qualia) usw. Dennoch hat der Psychologe Dietrich Dörner11 in seinem Buch „Bauplan für eine Seele“ gezeigt, das alle diese Dinge mit den Abläufen in künstlichen neuronalen Netzen nachvollzogen werden können. An mehreren Forschungsinstituten laufen bereits Projekte bei denen biologische Hirne von Kleintieren in Computern rekonstruiert werden sollen, um ihre Funktion bis in alle Einzelheiten nach­vollziehen zu können.

Von Theologen und Philosophen wird häufig das Argument vorgebracht, dass die Hirn­forschung zwar die materielle Grundlage des Geistes erforschen könne, aber nicht den Geist selbst, weil sie hier als Naturwissenschaft einem Kategorienfehler unterliege. So findet die Hirnforschung biochemische Vorgänge in Nervenzellen, Signale zwischen den Hirnzellen und Aktivitätszentren. Der Geist läuft zwar parallel zu all diesen Vorgängen, er wird aber dadurch nicht bestimmt und kann damit auch nicht ergründet werden. Dazu ist zu sagen, dass vom Standpunkt der Hirnforschung das Gehirn mit einem Computer verglichen werden kann. Alles das, was im Gehirn abläuft, lässt sich mit der Funktion von neuronalen Netzen vollständig erklären. Würde man umgekehrt von einem Computer nur die Funktion der einzelnen Schaltelemente (z.B. Transistoren) und die Aktivitätszentren des Prozessorchips kennen, dann könnte man genauso wenig sagen, was der Computer gerade „denkt“. Unsere derzeitige Unfähigkeit einzelne Gedanken im Gehirn festzustellen und zu erklären, ist ein noch bestehender Mangel der zugrunde liegenden technischen Verfahren. Dieser Mangel wird in wenigen Jahrzehnten überwunden sein und dann werden das Gehirn und der Geist seine letzten Geheimnisse preisgeben.

Für die Annahme einer mystischen Substanz in unserem Hirn, besteht also aufgrund unseres naturwissenschaftlichen Kenntnisstandes absolut kein Grund mehr. Diese Erkenntnisse geben Anlass, das Jahrtausende alte Leib-Seele-Problem neu zu überdenken. Da der Begriff Seele religiös vorbelastet ist, wollen wir im Folgenden stattdessen vom Geist-Körper-Problem reden.

Das Geist-Körper-Problem

Einen Überblick über die verschiedenen Standpunkte gibt folgende Liste:

  • Dualismus
    • Substanzdualismus:
      • interaktionistischer Dualismus: es gibt materielle und immaterielle Entitäten, die kausal miteinander interagieren
      • psychophysischer Parallelismus: Geist und Körper wirken in keiner Weise aufeinander
    • Eigenschaftsdualismus: für jedes physische Ereignis gibt es eine physische Ursache, und mentale Eigenschaften sind dennoch kausal wirksam
      • Epiphänomenalismus: es gibt keine kausale Wirksamkeit mentaler Eigenschaften
  • Monismus
    • idealistischer Monismus: alles ist Geist, und nur geistige Vorgänge sind real
    • materialistischer Monismus:
      • semantischer Physikalismus: alle mentalen Prädikate sind in physikalischer Sprache definierbar
      • Identitätstheorie: jede mentale Eigenschaft ist identisch mit einer physikalischen Eigenschaft
      • nichtreduktionistischer Physikalismus: jede mentale Eigenschaft hat eine physische Basis, durch die sie realisiert ist
      • Emergenztheorie: jede mentale Eigenschaft hat eine physische Basis; sie ist aber nicht mit dieser Basis identisch und auch nicht durch sie realisiert

Die Vertreter/innen der monotheistischen Religionen und ein Teil der Philosophen vertreten hier den Standpunkt des Dualismus. Neben der physischen Ursache kommt eine mystische Ursache bzw. Substanz hinzu, die naturwissenschaftlichen Methoden grundsätzlich unzu­gänglich ist. Nur auf diese Weise lässt sich eine unsterbliche Seele begründen. Zuweilen wurden und werden allerdings auch monistische Standpunkte von der Theologie vertreten, mit der Begründung, dass Leib und Seele als Einheit von Gott geschaffen wurden. Solche Stand­punkte sind aber noch weiter von den Naturwissenschaften entfernt, weil sie zusätzlich auch den Körper mystifizieren. Der Dualismus kann weder durch Nachdenken noch durch empirische Erfahrungen, d.h. Beobachtung und Experiment bestätigt oder falsifiziert werden. Damit ist er als rationale Erklärung der geistigen Fähigkeiten des Menschen völlig unbrauchbar.

Neben dem materialistischen Monismus gibt es noch den idealistischen Monismus, der aber hier nicht weiter diskutiert werden soll, da er ohnehin keine allzu große Bedeutung mehr hat. Bei den Theorien des materialistischen Monismus sind die Unterschiede untereinander nicht allzu groß, es gelten vor allem der nichtreduktionistische Physikalismus und die Emergenz­theorie als aktuell. Die besonderen Fähigkeiten unseres Gehirns, wie Bewusstsein, Emotionen usw. werden hier als emergente Phänomene aufgefasst. Zuweilen behaupten die Vertreter/innen des Dualismus, dass dies nur eine andere Bezeichnung für Mystik sei, weil man genauso wenig weiß, was sich dahinter verbirgt. Dies trifft jedoch nicht zu, denn man kann das Phänomen der Emergenz z.B. innerhalb der Mathematik studieren. Dort treten solche Dinge im Bereich der zellulären Automaten auf, der ein Teilbereich der Komplexitätstheorie ist. Hier sei insbesondere das monumentale Werk von Stefan Wolfram12 „A new Kind of Science“ erwähnt, das sich auf 1200 Seiten mit diesen Phänomenen befasst.

Zusammen­fassend kann man also sagen, dass es für die Annahme von mystischen Vorgängen in unserem Gehirn keinen vernünftigen Grund mehr gibt. Davon abgesehen zeigt uns die Geschichte der Wissenschaften, dass über die vergangenen Jahrtausende hinweg mystische Erklärungen von Naturphänomenen nie bestätigt werden konnten. Es haben sich letztlich immer rationale Erklärungen finden lassen, auch wenn das zum Teil mit großen Mühen verbunden war und lange Zeiträume beansprucht hat.

Wie sieht nun im Einzelnen das Weltbild dieser monistischen Theorien aus? Es sei hier eine Variante des nichtreduktionistischen Physikalismus herausgegriffen, weil sie bisher am besten mit den Ergebnissen der modernen Hirnforschung übereinstimmt. In dieser Variante werden die Dinge, die sich nicht weiter reduzieren lassen, unter den Begriffen Information und Informationsverarbeitung zusammengefasst. Wobei Information im weitesten Sinne gemeint ist, d.h. es zählen auch Begriffe wie Bedeutung, Ideen, Eigenschaften und Funktionen dazu. Begriffe wie Gefühl, Kognition, Intention und schließlich das Bewusstsein sind dann der Informationsverarbeitung zuzuordnen. Man könnte hier zwar auch von Symbolen und Symbolverarbeitung sprechen, der Begriff der Information ist aber etwas allgemeiner. Information im engeren technischen Sinn, wie sie in der von Shannon begründeten Informations­­theorie behandelt wird, beinhaltet dagegen Signale unabhängig von ihrer Bedeutung. Information bedarf zur Speicherung und Verarbeitung der Existenz der physischen Welt, sie ist aber nicht an eine bestimmte Materie oder Energie gebunden.

Die physikalischen und biochemischen Vorgänge, die Grundlage der Erzeugung von Gefühlen sind, lassen sich wahrscheinlich in der Zukunft immer besser aufklären. Dennoch lässt sich aber damit die subjektive Erfahrung eines Gefühls nicht erklären. Ähnlich wie in der physischen Welt, wo sich Eigenschaften wie Masse und Ladung zwar beschreiben, aber derzeit nicht weiter reduzieren lassen, ist es vermutlich bei den Gefühlen. Sie sind nicht weiter zerlegbare komplexe Formen der Informationsverarbeitung.

Gegenüber dem dualistischen Standpunkt werden hier den Begriffen Seele, Geist, Bewusstsein, die besser definierbaren Begriffe der Information und der Informations­verarbeitung gegenübergestellt. Informationsverarbeitung ist hierbei ein aktiver Vorgang der sich von reiner Information unterscheidet, die passiv ist und nur Muster zu aktiven Vorgängen enthalten kann. Diese Unterscheidung lässt sich an dem Beispiel der Vollnarkose aufzeigen. Bei der Vollnarkose, oder bei dem was man generell als tiefe Bewusstlosigkeit definiert, sind alle komplexen, psychischen Zustände abgeschaltet, da das Gehirn nur noch in geringem Umfang aktiv ist. Die im Gehirn gespeicherten Informationen sind aber weiterhin voll vorhanden. Das Gehirn ist somit in diesem Zustand im Wesentlichen nur noch ein passiver Informations­speicher. Die gespeicherte Information selbst führt also nicht zu Bewusstsein, sondern erst ihre Aktivierung in einer wie auch immer gearteten Hardware. Physikalisch gesehen ist Informationsverarbeitung immer mit dem Verbrauch von Energie verbunden, oder etwas exakter ausgedrückt, mit einer Vergrößerung der Entropie.

Die Dinge, die hier bei der Informationsverarbeitung aufgezählt wurden, bezeichnet der Philosoph Popper13 als die Welt der subjektiven Erlebnisse. Dies ist aber keine entscheidende Eigenschaft, denn subjektiv sind diese Dinge bestenfalls nur solange sie auf biologische Lebewesen beschränkt sind. Aber selbst hier zeigt bereits die Hirnforschung, dass mit Hilfe der modernen Verfahren bestimmte subjektive Erlebnisse zumindest recht grob mit objektiven Messungen korreliert werden können.

Information und Informationsverarbeitung sind Begriffe, die eng miteinander verbunden sind. Insofern wäre eine Auftrennung in drei Welten, wie in der Philosophie Poppers13, etwas übertrieben. Was bleibt, ist aber zunächst eine Abtrennung zur physischen Welt. Hier könnte somit der Verdacht aufkommen, dass es sich doch um einen dualistischen Standpunkt handelt, bei dem nur einige Begriffe ausgewechselt wurden. Diese noch vorhandene Trennung der Information von der physischen Welt liegt daran, dass die grundlegenden Naturgesetze, soweit wir sie kennen, keine unmittelbaren Aussagen über Information machen. Eine gewisse Ausnahme ist der zweite Hauptsatz der Wärmelehre, der Aussagen über die Entropie und damit der Ordnung bzw. der Information eines abgeschlossenen Systems macht. Dieses Gesetz ist aber ein abgeleitetes und kein wirklich grundlegendes Naturgesetz. Weiterhin spielt bei der Theorie der Schwarzen Löcher der Informationsverlust am Ereignishorizont eine wichtige Rolle. Sollte es gelingen, eine Theorie für Alles zu formulieren, so müsste diese Theorie auch Aussagen über Information machen. Manche Physiker sind tatsächlich der Ansicht, dass dies in naher Zukunft möglich sein wird. Erste Ansätze solcher Theorien wie z.B. die Superstringtheorie und die Theorie der Schleifenquantengravitation zeigen, dass dort Dinge wie Raum, Zeit und Materie ihren Absolutheitsanspruch einbüßen und stattdessen Dinge wie Information in Erscheinung treten. Zusammenfassend können wir damit folgende drei Bestandteile14 der Welt identifizieren:

1. Physische Welt:

Materie, Energie, Raum, Zeit, Naturgesetze, Naturkonstanten

2. Information im weitesten Sinne:

Eigenschaften, Ideen, Funktionen, Identität, Sprache, Theorien, Mathematik, Kunst, Wissenschaft, usw.

3. Hochkomplexe Informationsverarbeitung:

Kognition, Intention, Bewusstsein, Ich-Bewusstsein, Gefühle, Intuition, usw.

Nun können wir uns durchaus vorstellen, in einer virtuellen Welt zu leben. Eine solche Welt besteht nur aus Information und Informationsverarbeitung. Die physische Welt existiert hier nur als Vorstellung, ist aber nicht real vorhanden oder befindet sich zumindest auf einer anderen Realitätsebene. Dies ist die Position des Konstruktivismus. Das Umgekehrte, eine physische Welt ohne Information und Informationsverarbeitung können wir uns vielleicht vorstellen, aber sie kann nicht erlebt werden. Insofern ist die Existenz einer solchen Welt nicht nachprüfbar. Damit kann man die Ansicht vertreten, dass Information und Informations­verarbeitung fundamentaler sind als die physische Welt.

Die Information der Naturgesetze und Naturkonstanten müssen bei der Entstehung unseres Universums schon vorhanden gewesen sein. Die Frage ist hier, ob die Naturgesetze und die Naturkonstanten nicht eher der Information zugerechnet werden müssten. Dies ist letztlich eine kosmologische Frage. Eine physikalische Theorie für Alles müsste auch diese Frage beantworten. Da die Informationsverarbeitung grundsätzlich nicht auf biologische Systeme begrenzt ist, spricht in dem hier beschriebenen Weltbild nichts gegen die Machbarkeit von künstlichem Bewusstsein.

Die Entstehung des Menschen

Im Gegensatz zu den oben diskutierten offenen Problemen der Naturwissenschaften, gilt die Entstehung des Menschen aus Sicht der Naturwissenschaften als aufgeklärt. Insbesondere die gewaltigen Fortschritte in der Gentechnik haben die letzten Zweifel ausgeräumt. Die Evolutionstheorie gilt nunmehr als eine der am besten überprüften und bestätigten natur­wissenschaftlichen Theorien. Durch diesen enormen Druck der Fakten hat sich, soweit das bekannt ist, der Vatikan auf die Position zurückgezogen, dass Gott die Naturgesetze und die Naturkonstanten so geschickt geschaffen hat, dass sich daraus der Mensch entwickeln konnte. Während der Evolution hat Gott dann nicht mehr eingegriffen. Das war nach Ansicht des Vatikans aber auch gar nicht mehr nötig. Allerdings ist auch diese Position mit dem starken anthropischen Prinzip15 widerlegbar. Zuweilen wird hier von Gläubigen eingeworfen, dass die Existenz von unendlich vielen Paralleluniversen auch nur reiner Glaube sei. Sicher ist dieser Aspekt des starken anthropischen Prinzips im Moment nur eine Hypothese. Aber es lassen sich schon jetzt Konsequenzen daraus ableiten, die womöglich physikalischen Messungen zugänglich sind. Insofern besteht die Möglichkeit diese Hypothese in der Zukunft empirisch zu untermauern.

Dennoch glauben viele Christen nicht an den der Evolutionstheorie zugrunde liegenden Mechanismus der zufälligen Mutationen. Der Zufall wird von vielen nur als vordergründig gesehen. Dahinter versteckt sich angeblich das Wirken Gottes. Die Frage, ob der Zufall ein ontologischer Bestandteil unserer Welt ist, kann aber ebenfalls nur durch die Natur­wissenschaften selbst beantwortet werden. So können z.B. innerhalb der Quantenmechanik für beobachtbare Parameter nur statistische Mittelwerte berechnet werden. Einzelne Ereignisse, wie der Zeitpunkt des Zerfalls eines einzelnen Atomkerns, können aber nicht vorhergesagt werden. Beim derzeitigen Stand der Wissenschaft kann die Frage, ob dies ein ontologischer Indeterminismus ist, nicht abschließend beantwortet werden, da es verschiedene kon­kurrierende Interpretationen der Quantenmechanik gibt. Die wichtigsten sind: die Kopen­hagener Deutung, die Vielweltentheorie und die Theorie der verborgenen Parameter.

Bei der Kopenhagener Deutung führt der Messvorgang zu einem „Zusammenbruch der Wellenfunktion“. Der Messvorgang bzw. der dahinter stehende Experimentator selbst beeinflusst prinzipiell das Messergebnis. Im Ergebnis selbst spielt der Zufall eine Rolle. Hier könnte man daher von einem ontologischen Indeterminismus sprechen. Besonders abstrus ist die Vielweltentheorie. Hier geht man von deterministischen Welten aus. Bei quanten­mechanisch instabilen Systemen (z.B. instabiler Atomkern) spaltet sich die Welt in zwei getrennte Welten auf. In der einen Welt ist der Atomkern noch als ganzer vorhanden und in der anderen ist er zerfallen (Gedankenexperiment „Schrödingers Katze“). Damit ist der Zufall verschwunden. Diese Interpretation hat den Vorteil, dass sie den mathematischen Formalismus der Quantentheorie exakt wiedergibt. Der Nachteil ist, dass sie zu einer nur schwer vorstellbaren Inflation der Zahl der Welten führt. Aber ein Mangel an Vorstellbarkeit ist kein tragendes Argument gegen eine physikalische Hypothese.

Bei der Theorie der verborgenen Parameter geht man davon aus, dass die Quantentheorie unvollständig ist. Es gibt verborgene Parameter, zu denen die Physiker keinen Zugang haben bzw. finden. Mit deren Kenntnis würde aber der Zufall verschwinden. Diese Interpretation findet große Akzeptanz bei den Theologen, weil sich hinter den verborgenen Parametern das Wirken Gottes verstecken könnte. Inzwischen konnten jedoch Christian Roos und seine Kollegen vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation in Innsbruck anhand experimenteller Ergebnisse zeigen, dass bestimmte Varianten der Theorie der verborgenen Parameter nicht stimmen können (siehe Nature, Bd. 460, S. 494-497). Damit ist diese Interpretation zwar noch nicht vom Tisch, aber zumindest stark angeschlagen.

Während trotzdem die Entstehung des menschlichen Leibes über die Evolution von vielen Gläubigen akzeptiert wird, sind fast alle der Meinung, dass Gott alleine den Menschen mit einer unsterblichen Seele ausgestattet hat. Dies bekräftigte Papst Pius XII. mit den Worten: „Was die Seele betrifft, so müsse der katholische Gläubige unbedingt daran festhalten, dass sie unmittelbar von Gott geschaffen ist“. An dieser Haltung hat sich bis heute nicht viel verändert. So ließ Papst Benedikt XVI. keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Mensch ein gottgewolltes Geschöpf sei: „Dieses spezielle Gewolltsein und Gekanntsein des Menschen von Gott nennen wir seine besondere Erschaffung“. Auch die EKD sieht immer noch in Gott den Denker und Lenker hinter der Evolution, denn „wo Gott nicht anfängt, da kann nichts sein oder werden, wo er aufhört, da kann nichts bestehen“. Michael Schmidt-Salomon16 hat diese Einstellung als den „halbierten Darwin“ bezeichnet. Die christlichen Kirchen müssen aber zwangsläufig daran festhalten, weil sonst ihr Menschenbild und damit eine der wichtigsten Säulen ihres Glaubens in sich zusammenbrechen würde. In Bezug auf die Entstehung des Menschen kann daher von Kompatibilität nicht gesprochen werden. Die Evolutionstheorie ist mit dem christlichen Glauben völlig unvereinbar.

Warum die Religion der ärgste Feind der Naturwissenschaften und unserer gesamten Kultur war und ist

Sieht man sich die Geschichte des Christentums und sein Einfluss auf Kultur und Wissenschaft an, so muss man über die Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Religion hinaus konstatieren, dass das Christentum der ärgste Feind der Wissenschaft war und ist. In dem „dunklen Zeitalter“ zwischen etwa 400 und 1400 wurde die Wissenschaft massiv durch den Klerus behindert. Der Beginn des dunklen Zeitalters17 ist eindeutig festzulegen auf den 27. Februar 380 als der römische Kaiser Theodosius gemeinsam mit seinen Mitkaisern Gratian und Valentinian II., das Religionsedikt „cunctos populos“ verkündete, nachdem der gesamte Erdkreis nun christlich-trinitarisch denken müsse: „Die diesem Gesetz folgen, sollen die Bezeichnung katholischer Christ beanspruchen, die anderen aber, nach unserem Urteil Unsinnige und Verrückte, sollen die schimpfliche Ehrenminderung der Häresie erleiden … und sie sollen fürs erste durch ein göttliches Gericht, dann aber auch durch die Ahndung unseres richterlichen Einschreitens bestraft werden“. Es folgten daraufhin Bücher­ver­brennungen und die Schließung der Bibliotheken für die Öffentlichkeit. Ammianus Marcellinus berichtet von der Verfolgung und Hinrichtung von Personen, denen der Besitz von Büchern mit verbotenem Inhalt vorgeworfen wird. Da die Bücher seinerzeit auf Papyrus geschrieben waren, mussten sie, wegen der begrenzten Haltbarkeit des Materials, regelmäßig im Abstand von 50 bis 80 Jahren abgeschrieben werden. Da diese Arbeit nun in der Hand des Klerus lag, wurden von da an nur noch solche Bücher kopiert, die die christliche Lehre stützten. Später sorgte die Inquisition zusätzlich dafür, dass unchristliche Gedanken gar nicht erst zu Papier gebracht wurden. So ist es kein Wunder, dass über Jahrhunderte hinweg Bildung und Kultur überwiegend in den christlichen Klöstern stattfand und der Fortschritt in den Naturwissenschaften fast völlig ausblieb. Das Volk wurde systematisch dumm gehalten. Erst mit dem Beginn der Renaissance verbesserten sich langsam wieder die Verhältnisse. Die Erfindung des Buchdruckes durch Johannes Gutenberg um 1450 führte zu einer schnellen Verbreitung von Wissen, dass dann auch die katholische Kirche nicht mehr verhindern konnte.

Nun könnte man sagen, das alles ist Geschichte und hat mit der Gegenwart nichts mehr zu tun. Aber auch heute noch haben die christlichen Kirchen in unserem Staat einen großen Einfluss auf die Gesetzgebung und damit auf Bildung und Forschung. So wird über Ethikräte eine vernünftige Regelung der Genforschung und hier insbesondere der Stammzellen­forschung massiv behindert. Das führt dazu, dass viele junge talentierte Forscher das Land verlassen, weil sie im Ausland bessere Rahmenbedingungen vorfinden.

Zusammenfassung

Die Vereinbarkeit von Naturwissenschaften und Religion erfordert entweder eine Reduktion der Religion auf eine Gottheit wie er im Pantheismus beschrieben wird, oder die Konta­minierung der Wissenschaft mit unnötigen, unprüfbaren und grundlosen Behauptungen. Während insbesondere die monotheistischen Religionen etwa seit dem 4. Jahrhundert ein unvor­stellbares Maß an Leid und Elend über unseren Planeten gebracht haben, sehen die Bilanz der Naturwissenschaften und die daraus resultierende Technik erheblich positiver aus. So konnten sie unsere durchschnittliche Lebensspanne erheblich verlängern und unsere Lebensqualität bis ins hohe Alter steigern. Naturwissenschaften helfen dem Menschen, Religion schadet dem Menschen. Naturwissenschaften respektieren die Macht des menschlichen Intellekts, die Religion setzt ihn herab.

Gerade die katholische Kirche hat die Naturwissenschaften über Jahrhunderte hinweg systematisch behindert und bekämpft. Aufgrund des gewaltigen Druckes der natur­wissenschaftlichen Fakten sieht sie sich nun in der Position, ihre zweifelhaften Glaubens­grundsätze dagegen verteidigen zu müssen. Dabei fordert sie von Ungläubigen bzw. von Naturwissenschaftlern Respekt gegenüber dem christlichen Glauben. Etwas, das sie selbst gegenüber den Naturwissenschaften nie hatte.

Quellen:

[1] Wehler, J., Grundriss eines rationalen Weltbildes. Alibri Verlag, Aschaffenburg, 2007

[2] Pannenberg, W., Wissenschaftstheorie und Theologie. Suhrkamp Verlag, Febr. 1986

[3] Spaemann, R., Der letzte Gottesbeweis. Pattloch (August 2007), ISBN-10: 3629021786.

[4] Popper, K., Logik der Forschung. Verlag Tübingen : Mohr; Auflage: 9. verb. Aufl. (1989)

[5] Heinemann, U., Nein und Amen: Mein Abschied vom traditionellen Christentum. Heyne Verlag, Taschenbuch, 1. Oktober 2002

[6] Kant, I., Kritik der reinen Vernunft. 1787, Ausgabe Reclam, Stuttgart 1966

[7] Pinker, S., Wie das Denken im Kopf entsteht (org. How the Mind works), München, Kindler, 2002, ISBN 3-463-40341-2

[8] Junker, T., Paul, S.: Der Darwin-Code: Die Evolution erklärt unser Leben. Verlag C.H.Beck; Auflage: 1 (16. Januar 2009)

[9] Fehige, C., Meggle, G., Wessels, U., Der Sinn des Lebens, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 4. Auflage März 2002

[10] Geyer, C., Hirnforschung und Willensfreiheit, zur Deutung der neuesten Experimente. Edition Suhrkamp 2387, 2004

[11] Dörner, D.: Bauplan für eine Seele. Rowohlt Tb. (1. Oktober 2001)

[12] Wolfram, S., A new Kind of Science. Wolfram Media Inc. 2002

[13] Popper,K.|R., Eccles, J.|C., Das Ich und sein Gehirn. 1977, Ausgabe Piper Verlag, München/Zürich, 8.Auflage 2002

[14] Vowinkel, B.: Maschinen mit Bewusstsein, wohin führt die künstliche Intelligenz? Wiley-VCH (2006)

[15] www.darwin-jahr.de/evo-magazin/kein-wunder-dass-wir-existieren

[16] www.darwin-jahr.de/evo-magazin/halbierte-darwin

[17] fowid.de/fileadmin/textarchiv/Requiem_fuer_die_antike_Kultur__Rolf _Bergmeier___TA-2009-1.pdf

Ethik ohne Religion

von Bernd Vowinkel

Von Religionsvertretern wird häufig behauptet, dass es ohne Religion keine Ethik gäbe. Selbst viele Eltern, die vom Glauben abgefallen sind, lassen ihre Kinder dennoch am Religionsunterricht teilnehmen, weil sie der Meinung sind, dass ihnen nur auf diese Weise Werte vermittelt werden könnten. Diese Einstellung impliziert, dass Nichtgläubige über keine oder aber nur über eine minderwertige Ethik verfügen. Im Folgenden wird gezeigt, dass diese Haltung nicht nur überheblich, sondern auch restlos falsch ist.

 

2004 hat unsere Familienministerin von der Leyen ein Bündnis für Erziehung zusammen mit den beiden großen christlichen Kirchen ins Leben gerufen, um den Kindern von klein auf Werte zu vermitteln. Auch die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann wies darauf hin, dass die ersten Lebensjahre eines Menschen entscheidend seien für die Formung seiner Weltsicht. Sie sei überzeugt, dass die Basis der Zehn Gebote durchaus eine gute Grundlage für Wertevermittlung sein könne, erklärte die Bischöfin. Frau von der Leyen bestätigte dies mit der Bemerkung, dass unser Grundgesetz im Prinzip die Zehn Gebote zusammenfasst.

 

Zur Erinnerung, das 2. Gebot lautet:

 

„Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, die mich hassen und tue Barmherzigkeit an vielen Tausenden, die mich lieb haben und meine Gebote halten.“

 

Das ist Sippenhaftung und nicht mit den Menschenrechten vereinbar! Liebesentzug wird mit Heimsuchung geahndet.

 

Das 10. Gebot lautet:

 

„Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgendetwas, das deinem Nächsten gehört.“

 

Sklaverei ist offensichtlich normal! Frauen gelten als Besitztümer des Mannes!

 

Es gibt also genau zwei Möglichkeiten: entweder unsere Familienministerin kennt das Grundgesetz nicht oder sie kennt die Zehn Gebote nicht, sonst würde sie nicht einen solchen Unfug behaupten.

 

Von diesen Dingen ganz abgesehen, bereitet eine gottgegebene Ethik prinzipielle Probleme. So hat schon Sokrates erkannt, dass eine solche Ethik zu einem logischen Dilemma führt: Sind Gottes Gebote deshalb gut, weil Gott sie gebietet? Wenn ja, wäre es dann moralisch gerechtfertigt, Kinder zu foltern oder zu ermorden, wenn Gott ein entsprechendes Gebot aufstellte?

 

Christen gehen davon aus, dass sie für ein gottgefälliges, moralisches Leben im Jenseits belohnt werden, indem sie ins Paradies kommen. Wer aber aufgrund von Heilsversprechen Gutes tut, der handelt letztlich aus niedrigen Beweggründen.

 

Den meisten Vertretern einer ausschließlich religiös fundierten Ethik ist offensichtlich nicht bekannt, dass es eine ganze Reihe von philosophischen Ansätzen für eine Ethik ohne Religion gibt. Angefangen von den Griechen (Epikur), über das Zeitalter der Aufklärung (Kant, Schopenhauer) bis in die Neuzeit (Bentham, Mill).

 

Grundlage des von Epikur begründeten Hedonismus ist die Erkenntnis, dass es kein Leben nach dem Tod gibt und daher Glück und Lebensfreude im Diesseits gesucht und maximiert werden müssen. Gleichzeitig gilt es Furcht und Schmerz zu vermeiden. Insgesamt ist damit diese Lehre pragmatisch und auf der Erfahrung aufbauend. Die Begründung einer Ethik auf göttliche Offenbarung wird abgelehnt.

 

Immanuel Kant

 

Immanuel Kant hat insbesondere in seinen Werken „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ und „Kritik der praktischen Vernunft“ eine ethische Lehre auf Basis der Vernunft abgeleitet. Das Ergebnis war die Formulierung des kategorischen Imperativs: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Die Lehre von Kant baut allerdings auf der Existenz eines unbedingten freien Willens auf. Dieser wird mittlerweile vor allem aufgrund der Fortschritte der modernen Hirnforschung stark angezweifelt.

 

Arthur Schopenhauer

 

Arthur Schopenhauer erkennt drei Grundtriebfedern des Menschen: Mitleid, Egoismus und Bosheit. Im Gegensatz zu Kant ist bei ihm die einzige Quelle moralischen Handelns und damit die Grundlage aller Ethik das Mitleid. In „Die Welt als Wille und Vorstellung“ schreibt Schopenhauer:

 

„Wir werden … keinen Anstand nehmen, im geraden Widerspruch mit Kant, der alles wahrhaft Gute und alle Tugend allein für solcheanerkennen will, wenn sie aus der abstrakten Reflexion und zwar dem Begriffe der Pflicht und des kategorischen Imperativs hervorgegangen ist, und der gefühltes Mitleid für Schwäche, keineswegs für Tugend erklärt – im geraden Widerspruch mit Kant zu sagen: der bloße Begriff ist für die echte Tugend so unfruchtbar, wie für die echte Kunst: alle wahre und reine Liebe ist Mitleid.“

 

Dieser Ansatz ist recht gut mit dem heutigen Stand der Hirnforschung vereinbar. Aufgrund unseres Vorstellungsvermögens leiden wir mit Anderen mit und erlangen dadurch die Motivation das Leid abzuwenden. Das Mitleiden kann mit bildgebenden Verfahren auch nachgewiesen werden. Das Maß an Mitleid hängt unter anderem von den Genen, dem Hormonhaushalt und dem persönlichen Erfahrungsschatz ab. Das Mitleid geht dabei über den Einzelfall hinaus und kann durchaus als Grundlage einer universalen Ethik dienen.

 

Jeremy Bentham

 

Von den beiden britischen Philosophen Jeremy Bentham (1748–1832) und John Stuart Mill (1806–1873) wurde der Utilitarismus, d.h. die Lehre von der Nützlichkeit begründet. Sie ist eine moderne Weiterentwicklung des Hedonismus und ist der philosophischen Strömung des Pragmatismus bzw. Empirismus zuzurechnen, während Kants Moralphilosophie die Position des Rationalismus vertritt. Während beim reinen Hedonismus das persönliche Glück im Vordergrund steht, bezieht der Utilitarismus auch das Allgemeinwohl mit ein. Insofern greift die Kritik, dass es sich um eine rein egoistische Ethik handelt, beim Utilitarismus nicht mehr.

 

Der moderne Utilitarismus ist in der Form des Regelutilitarismus (nach Mill) mit Ergänzungen der Fairness und der Gerechtigkeit (nach Lyons) der christlichen Ethik nicht nur ebenbürtig, sondern weit überlegen, weil seine Quellen ausschließlich Verstand und Erfahrung sind und weil auf Hokuspokus vollständig verzichtet wird. Eben dadurch steht er aber auch mit seinen Grundlagen jeder religiösen Ethik entgegen.

Ist der Neue Atheismus niveaulos?

von Bernd Vowinkel

Ein häufiger Vorwurf von Seiten der etablierten Theologie ist, dass der Neue Atheismus kein Niveau hätte. Gegenüber dem alten Atheismus sei er nicht besser, sondern nur lauter. Das läge wohl auch daran, dass einige wichtige Vertreter des Neuen Atheismus Naturwissenschaftler seien und somit in der Regel keine tiefere Kenntnis der theologischen Fachliteratur hätten. So wird insbesondere Richard Dawkins empfohlen, doch lieber in seinem Institut weiterhin Saurierknochen zu sortieren als über die Religionen herzufallen. Dawkins hat daraufhin in neueren Ausgaben seines Buches „Der Gotteswahn“ einen Leserbrief im Anhang abgedruckt, der diesen Vorwurf äußerst treffend thematisiert:

 

„Ich habe die schamlosen Anschuldigungen von Mr. Dawkins betrachtet und war empört darüber, dass es ihm an ernsthafter Fachkenntnis mangelt. Er hat offensichtlich nicht die detaillierten Ausführungen des Grafen Rodrigo von Sevilla über das exquisite exotische Leder der kaiserlichen Stiefel gelesen, und ebenso berücksichtigt er nicht im Mindesten Bellinis Meisterwerk “Über das Leuchten des kaiserlichen Lederhutes”. Ganze Denkschulen haben sich der Aufgabe gewidmet, gelehrte Abhandlungen über die schönen Gewänder des Kaisers zu schreiben, und jede größere Zeitung enthält eine Kolumne über die Mode am Kaiserhof… Dawkins ignoriert in seiner Arroganz alle diese zutiefst philosophischen Gedanken und beschuldigt den Kaiser der Nacktheit… Solange Dawkins sich nicht in den Boutiquen von Paris und Mailand weitergebildet hat, solange er nicht gelernt hat, den Unterschied zwischen Rüschenvolant und einer Pumphose zu erkennen, sollten wir alle so tun, als habe er nie etwas gegen den Geschmack des Kaisers gesagt. Seine Ausbildung als Biologe mag ihn in die Lage versetzen, herabhängende Geschlechtsteile zu erkennen, wenn er sie sieht, aber sie hat ihn nicht gelehrt, Imaginärstoffe richtig zu bewerten.“

 

Eben das ist gerade die große Kunst der Theologie: Imaginärstoffe zu bewerten. Daneben kennt sich der gute Theologe hervorragend in der Literatur der griechischen Philosophen aus und hat daher immer ein passendes Zitat zur Hand. Aber er kennt natürlich auch die Argumente der „gebildeten“ Atheisten vergangener Zeiten und ist nach eigener Einschätzung in der Lage, alle diese Argumente zu widerlegen. Dabei bedient er sich einer Sprache auf höchstem Niveau, garniert mit möglichst vielen Fachausdrücken. So verwundert es nicht, dass der gemeine Gläubige in der Regel von Vorträgen der hohen Theologie völlig beeindruckt ist. Vom Inhalt der Vorträge wird er wenig verstehen, aber das ist ja auch nicht der Sinn solcher Vorträge. Sie dienen vielmehr dazu, die Gläubigen von der Intelligenz und der geisteswissenschaftlichen Bildung des Vortragenden zu überzeugen. Das vermittelt Autorität und nur durch Autorität sind die unlogischen und unvernünftigen Glaubensgrundsätze zu vermitteln, Nachdenken und tiefere Erkenntnis schadet der Sache nur. Beispiele für inhaltloses Geschwätz finden sich in fast jedem Lehrbuch zur Theologie. Besonders haarsträubend wird es meist, wenn die Trinitarität mit dem Monotheismus auf Biegen und Brechen in Einklang gebracht werden soll:

 

„Der innertrinitarische Logos geht in seinem Personsein ganz und gar darin auf, vom Vater her und auf den Vater hin zu sein und ist gerade so (mit dem Vater zusammen) der Ausgang für den Heiligen Geist. Gerade durch sein Vom-Vater-her- und Auf-den-Vater-hin-Sein ist er also die Ermöglichung von einer Gemeinschaft, die gerade durch Andersheit konstituiert ist.“

 

(Aus „Einführung in die Systematische Theologie“ von Klaus von Stosch, S. 137)

 

Naturwissenschaften und Glaube

 

Nun stehen viele Glaubensgrundsätze in krassem Gegensatz zu den Erkenntnissen der Naturwissenschaften. Im Mittelalter wurden solche Probleme durch die Inquisition schnell und sauber gelöst. In unserer Zeit sind diese Methoden etwas aus der Mode gekommen und so muss man sich dann doch ernsthaft dieses Problems annehmen. Da die Naturwissenschaften immer weitere Bereiche unserer Erfahrungswelt entschlüsseln und damit auch entmystifizieren, befindet sich die Theologie auf einer ständigen Flucht vor neuen Erkenntnissen der Naturwissenschaften. Die verbleibenden Lücken werden immer kleiner und man sieht sich in der misslichen Lage, nur noch diese Lücken füllen zu können. Ein Lückenbüßergott ist aber etwas recht Erbärmliches und so hat man sich entschlossen, die Flucht nach vorne anzutreten. Man behauptet einfach, dass die Glaubensgrundsätze nicht im Sinne der Wissenschaft überprüfbar sind. Sie sind vielmehr eine andere Sichtweise von Wahrheit und Realität und sie gehen sogar über die Erkenntnismöglichkeiten der Wissenschaften hinaus. Sie bieten sozusagen einen unmittelbaren Zugang zu absoluten Wahrheiten. Damit hat man sich endgültig gegen die lästigen Naturwissenschaften immunisiert. So der Theologe Von Dobbeler bei einer Podiumsdiskussion:

 

„Die Beschränkung auf eine naturalistisch-materialistische Welt- und Selbstwahrnehmung sitzt meines Erachtens in mehrfacher Hinsicht Illusionen auf. Dieser Reduktionismus verwechselt den Gott der Bibel mit jenem Hinterwäldler, der als Lückenbüßer unserer fortschreitenden Erkenntnis weichen muss. Der Gott des Christentums ist jedoch kein außerweltlicher Hochgott, sondern es ist der sich selbst erniedrigende Mensch Gewordene, auf Golgatha Gekreuzigte, der durch seine Ohnmacht in der Welt Raum gewinnt.“

„Das Paradoxon – das Paradoxon … der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes, nach Kierkegaard das Paradoxon schlechthin, wird durch die Gespensterjagd der neuen Atheisten weder begriffen noch voll getroffen.“

 

Nun, dass das Paradoxon der Menschwerdung Gottes von den neuen Atheisten nicht begriffen wird, ist völlig richtig. Das liegt aber mehr an der nicht vorhandenen Logik der christlichen Heilsgeschichte. Sehen wir uns diese einmal in Kurzfassung an: Da gibt es einen allmächtigen, allwissenden Gott, der die Welt erschaffen hat. Er schickt seinen eigenen Sohn zu einem unbedeutenden Planeten, der einen von 100 Milliarden Sternen umkreist in einer von 100 Milliarden Galaxien. Auf diesem Planeten lässt er seinen Sohn von unzivilisierten Affenabkömmlingen an ein Kreuz nageln, um für deren Sünden zu sterben, die sie nicht oder noch nicht begangen haben. Dieses wiederum führt zur Tilgung der Sünden, so dass die Menschen nach ihrem Tode in ewiger Glückseligkeit weiterleben dürfen.

 

Diese Geschichte ist völlig abstrus und niveaulos. Albert Einstein hat sie in einem Brief als „kindischster Aberglaube“ bezeichnet. Sie ist nichts anderes als eine Verhöhnung unseres Verstandes und unserer Vernunft und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele Menschen diese Geschichte nicht als Realität akzeptieren können.

 

Tritt nun doch einmal der seltene Fall ein, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse einen Glaubensgrundsatz zu stützen scheinen, dann hebt die Theologie die scharfe Trennung zur Naturwissenschaft natürlich sofort wieder auf. Ein Beispiel dazu ist die Verbindung zwischen Urknalltheorie und Schöpfungsgeschichte. Die römisch-katholische Kirche hat schon 1951, für ihre Verhältnisse äußerst schnell, offiziell erklärt (Papst Pius XII in einer Rede vor der päpstlichen Akademie der Wissenschaften), dass dieses Modell mit der Bibel in Einklang steht, denn offensichtlich war dies der Zeitpunkt des Schöpfungsaktes unseres Universums. Es war damit das erste Mal, dass die Naturwissenschaft einen Glaubensgrundsatz zu bestätigen schien. Dies bekräftigte der vatikanische Astronom William Stoeger mit den Worten: „Die Erkenntnis vom Urknall hat das Bild Gottes veredelt“. Die Genugtuung darüber war aber etwas verfrüht, denn eine genauere Betrachtung führt auch hier zu Widersprüchen. Zudem hören diese bösen Naturwissenschaftler einfach nicht auf zu forschen und diskutieren mittlerweile darüber, ob es nicht doch eine Zeit vor dem Urknall gab. So nahm 1981 der bekannte Physiker Stephen Hawking an einer Kosmologie Tagung im Vatikan teil, wo er sein Konzept vorstellte, laut dem das Universum keine Grenzen haben solle. In diesem Vortrag stellte er das All zugleich als ein Phänomen dar, das einfach vorhanden ist und dementsprechend keines Schöpfergottes bedarf:

 

„Wenn das Universum einen Anfang hatte, können wir von der Annahme ausgehen, dass es durch einen Schöpfer geschaffen worden sei. Doch wenn das Universum wirklich völlig in sich selbst abgeschlossen ist, wenn es wirklich keine Grenze und keinen Rand hat, dann hätte es auch weder einen Anfang noch ein Ende; es würde einfach sein. Wo wäre dann noch Raum für einen Schöpfer?“

 

Darauf sagte Papst Johannes Paul II auf einer Audienz vor den Wissenschaftlern, dass die Wissenschaftler zwar die Evolution des Universums nach dem Urknall untersuchen können, aber sich nicht mit dem Augenblick der Schöpfung (Urknall) selbst befassen sollten. Dies sei Sache der Theologen:

 

„Jede wissenschaftliche Hypothese über den Ursprung der Welt, wie etwa die des Uratoms, aus dem sich die gesamte materielle Welt entwickelt haben soll, lässt die Frage nach dem Anfang des Universums offen. Dazu bedarf es einer Erkenntnisweise, die über die Physik und Astrophysik hinausreicht – der Metaphysik. Vor allem bedarf es einer Erkenntnisweise, die sich auf die Offenbarung Gottes beruft.“

 

Aha, kann man da als Naturwissenschaftler nur sagen, Theologen verfügen ganz offensichtlich über Erkenntnisweisen, die uns völlig verschlossen sind. Wir geben Jahr für Jahr Milliarden Euro für große Forschungsinstrumente aus, wir machen komplizierte Experimente und Beobachtungen und werten diese in mühseliger Kleinarbeit aus. Doch all dieses Bemühen ist vergebens, denn die letzten absoluten Wahrheiten übermittelt der Herr seinem Bodenpersonal auf direktem Wege und lässt die Naturwissenschaftler dumm aussehen.

 

Nun hat aber schon Immanuel Kant in seinem Werk „Die Kritik der reinen Vernunft“ dargelegt, dass man durch Transzendenz und Metaphysik nicht auf einen Schöpfergott schließen kann. Viele Theologen scheuen sich aber trotzdem nicht, Kant Gewalt anzutun, indem sie sich aus seiner Erkenntnistheorie einen Weg zu göttlicher Erkenntnis zurechtbasteln. So sagte z.B. der katholische Theologe Buchholz in einer Podiumsdiskussion:

 

„Schöpfung meint eine Herkünftigkeit, die nicht im strengen Sinne selbst noch mal in der Form einer Kausalität zu denken ist, sondern in der Kausalität selbst als Bedingung der Möglichkeit enthalten ist.“

 

„Wenn die Dynamik endlicher Vernunft, diese Selbsttranszendenz endlicher Vernunft, nicht ins Absurde und Leere laufen soll, so zielt sie auf eine Wirklichkeit, die nicht nochmals das endliche Produkt unserer Projektionen und Modelle ist.“

 

Eine nicht kausale Herkünftigkeit kann aber nichts anderes als Zufall sein. Das aber lehnen ja gerade die Theologen ab. Wenn Gott die Welt erschaffen hat, dann muss er auch die kausale Ursache für deren Existenz sein und warum sollten wir diese Ursache dann nicht mit den Mitteln der Wissenschaft herausfinden können? Gibt es zweierlei Kausalitäten? Eine Selbsttranszendenz mag durchaus auf eine Wirklichkeit zielen, sie kann aber keine objektiven Aussagen über deren Existenz machen. Dazu schreibt Kant (Kritik der reinen Vernunft, Methodenlehre, 1. Hauptstück, III. Abschnitt):

 

„Ordnung und Zweckmäßigkeit in der Natur muss wiederum aus Naturgründen und nach Naturgesetzen erklärt werden, und hier sind selbst die wildesten Hypothesen, wenn sie nur physisch sind, erträglicher, als eine hyperphysische, d.i. die Berufung auf einen göttlichen Urheber, den man zu diesem Behuf voraussetzt. Denn das wäre ein Prinzip der faulen Vernunft…“

 

„…Transzendentale Hypothesen des spekulativen Gebrauchs der Vernunft, und eine Freiheit, zu Ersetzung des Mangels an physischen Erklärungsgründen, sich allenfalls hyperphysischer zu bedienen, kann gar nicht gestattet werden, teils weil die Vernunft dadurch nicht weiter gebracht wird, sondern vielmehr den ganzen Fortgang ihres Gebrauchs abschneidet, teils weil diese Lizenz sie zuletzt alle Früchte der Bearbeitung ihres eigentümlichen Bodens, nämlich der Erfahrung, bringen müsste.“

 

Nun ziehen sich manche Theologen auf den Standpunkt zurück, dass die Naturwissenschaften ja durchaus erforschen können nach welchen Gesetzmäßigkeiten und Grundprinzipien die Natur funktioniert, aber die Fragen warum es unsere Welt gibt und was darin der höhere Sinn unserer Existenz ist, können ihrer Ansicht nach nur Philosophie und Theologie ergründen.

 

Viele Naturwissenschaftler sehen die Ursache der Existenz unserer Welt letztlich als Folge einer Quantenfluktuation. Die Frage nach dem „warum“ stellt sich dann nicht. Wir verdanken unsere Existenz einem quantenmechanischen Zufall und aus diesem Grund gibt es auch keinen höheren Sinn unserer Existenz. Das muss uns allerdings nicht davon abhalten, ein nach unseren Maßstäben sinnvolles irdisches Leben zu leben.

 

Bei den Antworten der Theologie auf diese Fragen, muss man ihre Erkenntnismethoden kritisch betrachten. Die Bibel als Quelle letzter Wahrheiten ist dazu völlig ungeeignet. Ihr historischer Wahrheitsgehalt dürfte leicht auf einem Bierdeckel Platz finden. Was noch bleibt, ist dann mit den Begriffen Vernunft und Offenbarung zu beschreiben.

 

Die Bedingung der Möglichkeit

 

„Gottes Geist als Erkenntnisquelle und Kraft zur Wandlung: Das Handeln Gottes im Geist ist zunächst einmal die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass das göttliche Zusagewort im Logos überhaupt vom Menschen verstanden werden kann. Denn allein das Unbedingte selbst (Gott als Geist) kann ein Verstehen und Erkennen des Unbedingten (Gott als Logos) ermöglichen.“

 

(Aus „Einführung in die Systematische Theologie“ von Klaus von Stosch, S. 233)

 

Der Begriff „Bedingung der Möglichkeit“ wurde von Kant eingeführt in Zusammenhang mit seiner Untersuchung, welche Vorbedingungen im menschlichen Geist gegeben sein müssen, um überhaupt zu Erkenntnissen zu kommen. Kant sah hier insbesondere die Vorstellungen von Zeit und Raum als Vorbedingungen an. Ohne Zeit gibt es keine Ereignisse und ohne die Vorstellung von Raum können wir keine räumlich ausgedehnten Dinge erkennen.

 

Wie das obige Zitat zeigt, gilt offenbar nach Ansicht der Theologen Ähnliches für die Erkenntnis von Glaubensgrundsätzen. Die Vorbedingung ist hier, dass Gottes Geist in unseren Gehirnen wirkt und nur wenn das der Fall ist, können wir sie erkennen und verstehen. Anscheinend macht Gott aber einen großen Bogen um die Gehirne der Naturwissenschaftler oder aber ihnen fehlt ein wichtiges Organ im Gehirn, so eine Art „Gottesmodul“.

 

Nach Kant ist der Mensch durchaus in der Lage, Wahrheiten zu erkennen, die außerhalb der sinnlichen Erfahrung liegen. Ein Beispiel dazu ist die Mathematik. Sie besteht aus synthetischen Sätzen a priori. Mit der Vorbedingung der Anschauung von Raum und Zeit kann man Axiome definieren, die von unserer Vernunft unmittelbar einsichtig sind und daher nicht weiter begründet werden müssen. Innerhalb dieser Axiomensysteme können wir dann absolute Wahrheiten erkennen und sie in mathematische Sätze kleiden. Dies wird nun häufig als Argument von den Theologen gebraucht um darzustellen, dass unsere Vernunft in der Lage ist, auch göttliche Wahrheiten zu erkennen. Was dabei übersehen wird, ist die Tatsache, dass sich die Wahrheiten der Mathematik ausschließlich auf das jeweilige Axiomensystem beziehen. Inwiefern diese Wahrheiten auf die Realität angewendet werden können, entscheiden die Naturwissenschaften. Man kann sich grundsätzlich die Realitäten der Außenwelt nicht nur einfach ausdenken, sondern man muss sie empirisch erfahren und überprüfen. Man kann sich Hypothesen bzw. Erklärungsmodelle ausdenken. Inwieweit sie zutreffen, entscheidet aber ausschließlich die Empirie. Hypothesen über die Realität die nicht überprüfbar sind (z.B. Gotteshypothesen), sind völlig wertlos, weil sie keine Aussagekraft haben. Ein nur gedachter Gott kann auf die Realitäten keinen unmittelbaren Einfluss nehmen. Die Natur bzw. die Realitäten der Außenwelt richten sich nicht nach unserer Vorstellungskraft und schon gar nicht nach unseren Wünschen. Eine so abstruse Theorie wie die Quantenmechanik hätte man sich z.B. unmöglich am grünen Tisch ausdenken können, ohne den Druck der Messergebnisse.

 

Der wahre Feind der Religionen

 

Ist der Neue Atheismus der ärgste Feind der Religionen und ist im deutschsprachigen Raum die Giordano-Bruno-Stiftung die schlimmste Herausforderung des Christentums? Nein, es gibt einen viel mächtigeren Feind der Religionen und das ist die Bildung und hier insbesondere die naturwissenschaftliche Bildung. Gestützt wird dies durch einen weltweit zunehmenden Zugang zu jedweder Information über das Internet. Umfragen haben gezeigt, dass der Anteil von Gläubigen unter den Naturwissenschaftlern verschwindend gering ist. Dies überrascht nicht, denn sie müssen sich ständig mit der harten Realität herumschlagen und bekommen ein Gespür dafür, was Realität ist und was nur Imaginärstoff ist. Andere Studien zeigen, dass nahezu jede Art von Bildung zur Reduzierung der Religiosität führt. Wenn wir den Wohlstand in unserem Land auf Dauer sichern wollen, dann werden wir die Bildung weiter fördern müssen, denn sie ist eine wesentliche Grundlage unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Mythen aus der Bronzezeit werden uns nicht weiterhelfen. Aus diesen Gründen werden in der Zukunft entweder die Religionen in unserem Land an Bedeutung verlieren oder unser Land wird an Bedeutung verlieren.

 

Fazit

 

So niveaulos wie die Glaubensgrundlagen der Religionen kann der Neue Atheismus gar nicht werden, und zwar schon deshalb, weil er sich auf die harten Fakten der Naturwissenschaften stützt. Das wortgewaltige Geschwätz der Theologen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie letztlich mit leeren Händen dastehen. Sie haben keinen besonderen Zugang zu irgendwelchen Erkenntnissen. Ihre wichtigste Quelle ist das infantile Wunschdenken nach einer göttlichen Geborgenheit, einer höheren Gerechtigkeit und einem höheren Sinn des Lebens. Die Realität richtet sich aber nicht nach unseren Wünschen. Sie ist so, wie sie ist und nur die Wissenschaft kann sie ergründen.

 

Quellen:

 

Richard Dawkins: Der Gotteswahn, Ullstein Tb, 2008

Stephen Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit; Kap. 8, Rowohlt, 1988

Klaus von Stosch: Einführung in die Systematische Theologie, UTB, Stuttgart, 2008

Immanuel Kant: Kritik der einen Vernunft, Reclam, Ditzingen, 1986

Humanismus statt Religion

von Bernd Vowinkel

Grundlagen des Humanismus

 

Die Grundlagen des Humanismus lassen sich bis ins alte Griechenland zurückverfolgen. So vertraten bereits die Philosophen Heraklit und Protagoras den Lehrsatz: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“. Mit dem Beginn der Renaissance im 15. Jahrhundert etablierte sich der Humanismus als Gegenbewegung zur Scholastik. Man spricht daher auch vom Renaissance-Humanismus. Mit ihm ging ein kultureller und sozialer Wandel einher. Der berühmteste und einflussreichste Humanist der frühen Neuzeit war Erasmus von Rotterdam. Während des Zeitalters der Aufklärung wurde der Humanismus weiter untermauert. Werke wie die von Immanuel Kant zeigten, dass man eine Ethik auch ohne Religion, rein auf der Basis der praktischen Vernunft begründen kann. Man kann folgende Grundüberzeugungen des Humanismus anführen:

 

Das Glück und Wohlergehen des einzelnen Menschen und der Gesellschaft bilden den höchsten Wert, an dem sich jedes Handeln orientieren soll. Die Würde des Menschen, seine Persönlichkeit und sein Leben müssen respektiert werden. Der Mensch hat die Fähigkeit, sich zu bilden und weiterzuentwickeln. Die schöpferischen Kräfte des Menschen sollen sich entfalten können. Die menschliche Gesellschaft soll in einer fortschreitenden Höherentwicklung die Würde und Freiheit des einzelnen Menschen gewährleisten.

 

Obwohl der erste Punkt in Konflikt mit der christlichen Lehre steht, gab es dennoch eine Zeit in der die katholische Kirche den Humanismus gefördert hat. So gilt Papst Pius II (1405 -1464) selbst als bedeutender Humanist. Trotzdem hat der Vatikan den Humanismus nie als eine dem Glauben übergeordnete Idee akzeptiert.

 

Humanismus und Atheismus

 

In den letzten Jahren kam der Begriff des „Neuen Atheismus“ auf. Als eine Zentralfigur dieser Bewegung kann man Richard Dawkins identifizieren, der mit seinem religions-kritischen Buch „Der Gotteswahn“ Aufsehen erregt hat. Seitdem verbindet man mit dem Neuen Atheismus auch eine gewisse Respektlosigkeit vor dem religiösen Glauben. Genau genommen müsste eigentlich von Agnostizismus die Rede sein, weil sich die Neuen Atheisten nicht im Besitz absoluter Wahrheiten wähnen. Da sie aber von „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ reden, haben sie mit der Bezeichnung „Neue Atheisten“ in der Regel keine Probleme.

 

Atheismus ist im wesentlichen Religionskritik und ist daher für sich genommen noch keine vollständige Weltanschauung. Was hier hinzukommen muss, sind säkulare Werte und eine auf den Naturwissenschaften aufbauendes Verständnis der Welt. In dieser Kombination wird neuerdings von einem „Neuen Humanismus“ gesprochen. Die Frage stellt sich dann, was das Neue am Neuen Humanismus ist. Der Neue Humanismus berücksichtigt vor allem die gewaltigen Fortschritte der letzten Jahrzehnte in Naturwissenschaft, Technik und Medizin. Diese Fortschritte haben zu einem erheblich verbesserten naturwissenschaftlich fundierten Weltbild und Menschenbild geführt. Der Neue Humanismus trägt dem Rechnung, indem er die Prämissen der Naturwissenschaften anerkennt und übernimmt. Es sind dies:

 

Realismus: Die Welt ist real vorhanden.

 

Rationalismus: Wir können die Welt mit unserem Verstand erfassen.

 

Naturalismus: Es geht in der Welt mit „rechten“ Dingen zu, d.h. es läuft alles im Rahmen der Naturgesetze ab. Es gibt keine Wunder, Götter oder Dämonen.

 

Insbesondere die Prämisse des Naturalismus steht in eklatantem Widerspruch zu den mono-theistischen Religionen. Insofern kann es keine Versöhnung zwischen Neuem Humanismus und diesen Religionen geben.

 

Schopenhauer schreibt zu diesem Thema: „Der religiöse Glaubensakt ist eine Angewöhnung geistiger Grundsätze ohne gute Gründe. Denn gäbe es gute Gründe für die christliche Lehre, dann wüssten wir sie und brauchten sie nicht zu glauben.“

 

Ethik ohne Religion

 

Von Religionsvertretern wird häufig behauptet, dass es ohne Religion keine Ethik gäbe. Selbst viele Eltern, die vom Glauben abgefallen sind, lassen ihre Kinder dennoch am Religionsunterricht teilnehmen, weil sie der Meinung sind, dass ihnen nur auf diese Weise Werte vermittelt werden könnten. Diese Einstellung impliziert, dass Nichtgläubige über keine oder aber nur über eine minderwertige Ethik verfügen. Diese Haltung ist nicht nur überheblich, sondern auch restlos falsch.

 

Eine gottgegebene Ethik bereitet prinzipielle Probleme. Schon Sokrates hat erkannt, dass eine solche Ethik zu einem logischen Dilemma führt: Sind Gottes Gebote deshalb gut, weil Gott sie gebietet? Wenn ja, wäre es dann moralisch gerechtfertigt, Kinder zu foltern oder zu ermorden, wenn Gott ein entsprechendes Gebot aufstellte? Christen gehen davon aus, dass sie für ein gottgefälliges, moralisches Leben im Jenseits belohnt werden, indem sie ins Paradies kommen. Wer aber aufgrund von Heilsversprechen Gutes tut, der handelt letztlich aus niedrigen Beweggründen.

 

Den meisten Vertretern einer ausschließlich religiös fundierten Ethik ist offensichtlich nicht bekannt, dass es eine ganze Reihe von philosophischen Ansätzen für eine Ethik ohne Religion gibt. Angefangen vom Hedonismus der Griechen (Epikur), über das Zeitalter der Aufklärung (Kant, Schopenhauer) bis zum Utilitarismus der Neuzeit (Bentham, Mill). Gerade der moderne Utilitarismus in der Form des Regelutilitarismus (nach Mill) mit Ergänzungen der Fairness und der Gerechtigkeit (nach Lyons) ist der christlichen Ethik nicht nur ebenbürtig, sondern weit überlegen, weil seine Quellen ausschließlich Verstand und Erfahrung sind und weil auf Hokuspokus vollständig verzichtet wird. Eben dadurch steht er aber auch mit seinen Grundlagen jeder religiösen Ethik entgegen.

 

Unabhängig von diesen mehr theoretischen Überlegungen sind ethisches bzw. moralisches Verhalten etwas, was der wissenschaftlichen Forschung bzw. der empirischen Überprüfung durchaus zugänglich ist. So gab es insbesondere in den USA eine Reihe von Untersuchungen zu dieser Frage.

 

Altruismus ist keineswegs beschränkt auf religiöse Menschen und er ist noch nicht einmal auf den Menschen selbst beschränkt. So zeigt N.Barber (1) in seinem Buch „Kindness in a cruel world: The evolution of altruism“ dass die Entwicklung von Altruismus Teil der natürlichen Evolution ist und auch bei höher entwickelten Säugetieren, wie z.B. Affen gefunden wird.

 

In einer Studie (2) wurde festgestellt, dass atheistische Studenten weniger häufig als religiöse Studenten bei Examensarbeiten zu Betrug neigten. Andere psychologische Studien fanden heraus, dass religiöser Glaube die moralische Entwicklung verkümmern lässt, weil religiöse Menschen Moral mit einem festgelegten Dogma verbinden, anstatt sich selbst moralisches Verhalten zu erarbeiten.

 

Fundamentalistische Religionen unterminieren moralische Begründungen. Menschen, die der festen Überzeugung sind, nach dem Tod ins Paradies zu gelangen, ist es relativ egal, welchen Schaden sie auf der Erde anrichten, solange sie der Ansicht sind, dass ihre Taten gottgefällig sind. So zeigte eine Studie (3), dass solche Leute mit einer größeren Wahrscheinlichkeit betrunken Auto fahren, verbotene Drogen nehmen und illegalen Sex ausüben.

 

Viele religiöse Texte ermahnen die Menschen, mit Leidenschaft wohltätig zu sein. Aber Sozialwissenschaftler haben über die letzten Jahrzehnte hinweg keinen Beweis dafür gefunden, dass dies das Verhalten entscheidend beeinflusst. Der Soziologe Alfie Kohn (4) fand im Einzelnen Folgendes heraus:

 

a) In Interviews, die 1984 mit 700 Einwohnern einer mittelgroßen Stadt geführt wurden, zeigte sich, dass religiöse Menschen keine besseren Einwohner in Bezug auf ihr Verhältnis zu Nachbarn und der Beteiligung an örtlichen Organisationen waren.

 

b) Menschen die während der Nazi-Herrschaft in Deutschland Juden retteten, waren nicht religiöser als diejenigen, die nicht geholfen haben.

 

c) Religiöse Menschen sind intoleranter gegenüber ethnischen Minoritäten

 

Eine Studie (5) von 2006 in entwickelten Ländern zeigte, dass solche mit einem höheren Anteil an religiösen Gläubigen, mehr Morde, mehr Teenager-Schwangerschaften und mehr Geschlechtskrankheiten aufwiesen. Eine weitere Studie (6) von 2008 über Ethik in konfessionellen und in staatlichen Schulen zeigte kaum Unterschiede bei selbst zugegebenen Diebstählen oder Lügen gegenüber den Eltern. Allerdings beim Schummeln schnitten die konfessionellen Schulen schlechter ab.

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass für die Vermittlung ethischer Werte der Glaube und damit auch der Religionsunterricht absolut nichts bringt. Es gibt im Gegenteil sogar Hinweise, dass Religiosität eher kontraproduktiv ist. Für Deutschland sollten wir daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass es besser wäre, den Religionsunterricht als Pflichtschulfach generell abzuschaffen und durch einen säkularen Ethikunterricht zu ersetzen, so wie das in Berlin schon der Fall ist.

 

Quellen:

 

1. Barber, N. (2004). Kindness in a cruel world: The evolution of altruism. Amherst, NY: Prometheus.

 

2. Clark, B. (1994). How religion impedes moral development. Free Inquiry, 14(3), 23-25

 

3. Freethought Today, September 1991, p. 12.

 

4. Kohn, A. (1990) The brighter side of human nature: Altruism and empathy in everyday life. New York: Basic.

 

5. Wuthnow, R (1994). God and mammon in America. New York: The Free Press.

 

6. Josephson Institute (2008). Report card on the ethics of American youth.

Nur wer keine Argumente hat, wird wütend

von Constanze Cremer

KÖLN. (hpd) Hamed Abdel-Samad referierte am 6. Juni 2012 in Köln über „Islam und Menschenrechte“. An kritischen Stellen seines Vortrags nahm er gleich selbst die Rolle eines Salafisten sowie eines liberalen muslimischen Intellektuellen ein. Religion sieht er als einen der größten Menschheitsfehler und verglich sie, anschaulich wie immer, mit Pizza.

 

Die gbs Köln hatte, nach Jahren der Veranstaltungen mit nur trauriger Resonanz – die Presse im traditionellen „hillije Kölle“ (heiligen Köln) ist Gottlosen leider nicht im geringsten gewogen -, ein Experiment gewagt: Um doch endlich einmal in öffentlichen Medien Erwähnung zu finden und wenigstens ein einziges Mal zu sehen, wie es ist, bei einer mit Herzblut, viel Zeit und Arbeit vorbereiteten Veranstaltung gefüllte Sitzreihen zu erleben, ließ sie – ein spontaner und überaus großzügigen Sponsor machte es möglich – ca. 100 DIN A1-Plakate an S-Bahnhöfen und Litfaßsäulen aufhängen.

 

Die Resonanz in der Presse blieb jedoch auch dieses Mal aus, obwohl sie von verschiedener Seite aus mehrfach kontaktiert wurde: auch der Droemer Knaur-Verlag hatte eine Presseerklärung an sehr viele Presse-Institutionen und dort tätige Persönlichkeiten versandt.

 

Der Veranstaltungsraum jedoch, mit seinen 80 Sitzplätzen, war bis zum Bersten gefüllt, da fast noch einmal so viele Zuschauer stehend Vortrag und Diskussion anhörten, oder bei geöffneter Tür im Flur auf dem Boden sitzend verfolgten. (Wie viele vielleicht, die Überfüllung gewahr nehmend, sofort wieder umgekehrt sind oder den „Ausverkauft“-Hinweisen direkt folgend gar nicht in unserer Zählung einbezogen werden konnten, bleibt naturgemäß offen. Die Auswertung ergab, dass tatsächlich der Löwen­an­teil durch die Plakate auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht worden war.)

 

Hamed Abdel-Samad, Politologe und bekannter Autor, hat im Laufe seines noch relativ kurzen Lebens schon praktisch alle Varianten des Moslem-Daseins durchlaufen: Aufgewachsen bei Kairo als Sohn eines Imams zunächst ein „Durchschnitts-Moslem“ ägyptischer Prägung, später radikalisiert als Mitglied bei den Muslimbrüdern, schwenkte er schließlich um in Richtung Vernunft, da er anfing, selbst zu denken. Mit seiner hohen Intelligenz schaffte er sich Verständnis für die richtige Kategorisierung von Freiheit, so dass er dem gebildeten westlichen Durchschnitts-Bürger tatsächlich durch punktgenaue Benennung dessen eigener Werte so manches „Aha-Erlebnis“ bescheren kann: Wichtige und entscheidende „Aha-Erlebnisse“, die man der gesamten Politiker-Kaste dieses Landes inniglich wünscht…

 

Abdel-Samad wurde im Namen der gbs Köln vom Psychologen Frank Hichert begrüßt, der in dem Zusammenhang thematisierte, dass die Lobby der Religiösen reich und einflussreich ist, besonders den radikalen Moslems stünden sprudelnde Ölquellen zur Verfügung, so dass es für sie ein Leichtes sei, Politiker für sich zu gewinnen (um nicht direkt zu sagen: zu kaufen). Die Säkularen, denen diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung stehen, sollten versuchen, Einfluss über z.B. eine hohe Zahl von Abonnenten für den gbs-Newsletter zu nehmen, so dass die gbs mit mehr Gewicht auftreten könne.

 

Hamed Abdel-Samad begann seinen Vortrag mit der Bemerkung, dass es eigentlich unfair sei, dass er allein über das Thema referiere, denn prinzipiell müssten auch ein Salafist und ein liberaler muslimischer Intellektueller mit dabei sein, um die Debatte fair zu machen. Zum Ausgleich dessen versetzte er sich daher an den einschlägigen Stellen des Vortrags jeweils in die Rolle dieser Gegenparts.

 

Scharia

 

Allem voran stellte er die Feststellung, dass es der größte Fehler vieler, auch gemäßigter, Muslime sei, sich nicht zuerst als individueller Mensch wahrgenommen sehen zu wollen, sondern in erster Linie als Muslim – weil sie auf die Propaganda der Islamverbände, die dies forderten, hereinfielen.

 

Diese Verbände, die künstlich initiiert worden waren, um dem Staat als Gesprächspartner zu dienen, repräsentierten zwar nur einen Bruchteil der Muslime in Deutschland, sprächen aber für alle und übten indirekt Einfluss auf das Justiz-System aus. In England sei es bereits gelebte Realität: mit Hilfe der christlichen Kirchen sei dort die Einrichtung von Scharia-Gerichten durchgesetzt worden. Deren Befürworter behaupteten immer, die Scharia stünde nicht im Widerspruch zum Grundgesetz. Aber, so die Frage von Abdel-Samad, warum muss man die Scharia-Gerichte dann extra einführen, wenn es doch keinen Widerspruch gibt?

 

Das Problem sei, dass es für „die Scharia“ viele verschiedene Schulen und Interpretationen gebe, sie also kein klar definiertes Recht sei, nicht einfach in einem Buch nachzulesen – gäbe es dieses Buch, so könne man es in fünf Minuten argumentativ vernichten.

 

Damals habe der Koran sehr kreative Antworten auf die Fragen der Zeit von vor 14 Jahrhunderten gegeben. Aber leider seien diese nie „upgedatet“ worden. – Auf Gebieten außerhalb der Religion sei dies selbstverständlich: Kein Kapitän z.B. würde heute mit einer Weltkarte aus dem 7. Jh. in See stechen. Das Pendant zu einer heutigen aktuellen See-Karte, seien, um im Bild zu bleiben, die Menschenrechte.

 

In die Rolle des Salafisten schlüpfend stellte er fest: „Die Scharia ist eine umfassende Utopie und eine Anleitung von Gott direkt. Der Mensch ist eben schwach und verfügt nicht über sich selbst, er ist nicht in der Lage, Entscheidungen selbst zu treffen und aus Fehlern zu lernen. Er ist wie ein Auto, und Gott der Ingenieur, der es entworfen hat. Wenn man es bedienen will, muss man den Ingenieur fragen, wie es funktioniert. Der Mensch muss vor sich selbst gerettet werden. Daher muss der Staat die Tugenden durchsetzen, so dass es keine nennenswerte Grenze zwischen Moral und Gesetzen gibt. Die Scharia ist keine Verhandlungssache, und langfristig ist es daher auch Ziel, dass sie in jeder Gesellschaft gilt.“

 

Dieser Allgemeingültigkeitsanspruch für die ganze Welt sei, so Abdel-Samad, das Problem der islamischen Gesetzgebung.

 

Im Judentum galt ein Dekret, das die jüdischen Gesetze in der Fremde relativierte, wonach das Gesetz immer das Gesetz des Herrschers war. Nur im privaten Bereich seien die jüdischen Gebote einzuhalten gewesen.

 

Bei Christen sei es so ähnlich gewesen, bevor das Christentum Staatsreligion wurde.

 

Den Grund hierfür sieht Abdel-Samad darin, dass die Juden in der Diaspora immer in der Minderheit waren, und Jesus nie politische Verantwortung hatte, also einfach sagen konnte: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, usw…

 

Mohammed hingegen war als Herrscher verantwortlich, also gleichzeitig Gesetzgeber, Feldherr, Richter usw. So gab er Regeln vor.

 

In Medina hatte er gesehen, wie Juden lebten, und ihre Lebensweise zunächst als Vorbild genommen. „Halacha“ heißt auf Jüdisch „der Weg“, und bezeichnet das jüdische Recht. Folglich nannte Mohammed seine Vorschriften „Scharia“: arabisch „der Weg“. Die ersten Regeln wurden schlicht von den jüdischen kopiert. Etwa anfangs das Gebet in Richtung Jerusalem, das Verhalten der Frau, wenn sie ihre Tage hat, das des Mannes ihr gegenüber während dieser Zeit, die Reinigungsrituale, das Schweinefleisch-Verbot, etc.

 

Mohammed verkündete einen Monotheismus, und hatte daher erwartet, dass Juden und Christen als Erste diesen Glauben annehmen würden. Jene distanzierten sich aber wider Erwarten. Als Reaktion darauf entwickelte Mohammed seinen bekannten Hass auf die Anhänger dieser beiden Glaubensrichtungen und führte von da an abweichende eigene Gesetze ein.

 

Falsch sei es, immer spontan nur an den Islam zu denken, wenn es um demokratie- und menschenrechtsfeindliche Religionen gehe, denn alle großen monotheistischen Religionen würden sich im entscheidenden menschenfeindlichen Punkt kaum voneinander unterscheiden:

 

Sie alle sprächen dem Menschen das Recht ab, Herr über sich selbst zu sein!

 

Religion sei einer der größten Menschheitsfehler. Damals seien sie auf archaischer Basis, die nur mit den Bedürfnissen und der Begrenztheit der Menschen damals zu tun hatten, geschaffen worden, seien nie korrigiert worden – und jetzt hätten sie den „Alters-Bonus“…

 

Und sie erhöben leider den Anspruch, sich überall einzumischen, auch in Bereiche des Lebens, die mit Religion eigentlich nichts zu tun haben und auch nicht haben sollten. Z.B. dachte er kürzlich beim Eurovision Song Contest, er sehe nicht richtig: Mittendrin flüsterte einem eine deutsche Pastorin etwas von Gott und Liebe ein – wünschte dann aber nur dem deutschem Kandidaten Glück…

 

Religion solle jedoch aus dem öffentlichem Raum verbannt werden, also: in Gesetzgebung und Politik keine Rolle spielen. Religion könne Angebote machen, und wer wolle, könne sie annehmen…

 

Religion sei wie Pizza. Man kann ohne sie leben: „Wenn ich Pizza will, gehe ich zum Italiener, oder lasse sie mir bringen. Aber sonst will ich mit Pizza in Ruhe gelassen werden! Ich will keine Pizza in der Schule auf dem Pult liegen haben, ich will sie nicht auf dem Sozialamt aufgedrängt bekommen, ich will keine bei einer Abtreibungs-Entscheidung, will keine im Krankenhaus…! Werbung für Pizza ist natürlich okay. Aber nicht mit staatlicher Unterstützung! Der Staat kann nicht einfach nur Pizza-Sorten unterstützen, die alte Legenden haben, die damals nur niemand in Frage gestellt hat!“

 

Säkularisierung hieße, alle Religionen als Interessengruppen zu sehen, und sie alle gleich zu behandeln.

 

Kinder würden aber leider mit staatlicher Unterstützung mit Glaubenswahrheiten bombardiert, bevor sie lernten, zu denken. Und ständig höre er Gruselgeschichten, wie isoliert Kinder seien, die nicht zum Religionsunterricht gingen.

 

Warum die christlichen religiösen Gemeinschaften so scharf drauf seien, dass der Islam institutionalisiert werde? Sie wüssten, dass es die Gegenströmung gibt, die versucht, den Einfluss der Religionen zu verringern.

 

Islamkritik ohne Diskriminierung und Diffamierung sei unbedingt nötig. Viele verstünden aber diese Islamkritik reflexartig falsch als Abwertung von Menschen.

 

Arabischer Frühling

 

Alte Strukturen wurden aufgehoben, getragen vom Wunsch nach Freiheit, Menschenwürde und sozialer Gerechtigkeit. Warum geschah dies? Weil die Revolutionäre Moslems waren? Oder obwohl? Diese Frage sei, so Abdel-Samad, unerheblich, denn sie hätten es einfach nur als Menschen getan.

 

Jedoch dränge sich natürlich sofort die Frage auf, wie dies zusammenpasse mit den jüngsten Wahlergebnissen in Tunesien und Ägypten: Wollten diese Menschen letztlich doch nur eine Form der Bevormundung gegen eine andere austauschen? Oder hatte sich in ihren Köpfen doch zu nachhaltig das Mantra der Diktatoren festgesetzt, das da lautete: „Die einzige Alternative zu uns Diktatoren sind die Islamisten!“…?

 

Dieses Mantra, und dass Moslems eine Diktatur bräuchten, hatten die Diktatoren auch erfolgreich den Westen glauben gemacht: Mit der Folge, dass dieser, sie als „geringeres Übel“ ansehend, sie stets unterstützt hatte.

 

In diesen Diktaturen wurde durchgängig dafür gesorgt, dass die Islamisten sichtbar waren. Linken und Gemäßigten wurde der Zugang zu Medien verweigert. Die Islamisten hingegen durften Milliarden aus dem Ausland empfangen, um soziale Einrichtungen zu finanzieren: Die Muslimbrüder seien immer dort gewesen, wo der Staat gefehlt habe. Aus diesem Grund hätten die Menschen sie auch zunächst gewählt, da sie persönlich so gute Erfahrungen mit ihnen gemacht hatten. Mubarak hingegen stehe einfach für alles, was schlecht und korrupt sei.

 

Im Westen heule man wegen des Ergebnisses der letzten ägyptischen Präsidentschaftswahl auf – aber das revolutionäre Lager habe eigentlich zusammen genommen 40 Prozent der Stimmen erhalten. Die Muslimbrüder hätten diesmal nur noch 25 Prozent erhalten: damit seien sie dafür abgestraft worden, dass sie sich in der Zwischenzeit nicht im Geringsten für soziale Verbesserungen eingesetzt hatten…

 

Abdel-Samad sieht durchaus die besorgniserregende Parallele zum Iran, wo auch anfangs geglaubt wurde, dass die Islamisten sofort wieder gingen. Er ist jedoch der Meinung, dass es nirgends mehr islamkritische Menschen gebe als im Iran, weil sie erfahren hätten, dass die Utopie nicht funktioniere.

 

Niemand könne garantieren, dass aus Ägypten kein zweiter Iran werde. Aber man könne das fast ausschließen – aus folgendem Grund: Ägypten lebe hauptsächlich vom Tourismus, der 50 Prozent der wirtschaftlichen Einnahmen ausmache. Die Wirtschaft werde bald eine viel wichtigere Rolle spielen als Religion, denn Menschen könnten sich von der Scharia nicht ernähren… Verbote von Alkohol und Bikinis würden dem Tourismus massiv schaden, und das Land noch mehr verarmen lassen; die Menschen würden sich daraufhin dann wahrscheinlich auch von den Islamisten wieder befreien, was dann die erste wirkliche Chance für die Gemäßigten bedeuten würde…

 

Man schreibe zudem nicht mehr das Jahr 1979: Heute lebe die „Generation facebook“, die Leute hätten andere Vergleiche, Autoritäten seien nicht mehr so unantastbar wie früher. – Leider sei dies nur nicht der Fall für den Text des Propheten…

 

Hamed Abdel-Samad glaubt langfristig an Reform. Reformfähig sei das Denken der Menschen. Reformfähig sei die Art, alte Texte auszulegen, sie zu relativieren und sich damit im Ergebnis von ihnen zu distanzieren.

 

Es habe allerdings noch nie eine Religion gegeben, die sich von sich aus und von innen heraus reformiert habe.

 

Für die arabische Welt gebe es mehrere Szenarien – auch die Zutaten für echte Veränderung seien da.

 

Diskussion und ein Pakt

 

In der folgenden Diskussion meldete sich sofort und erregt ein Moslem mit Häkel-Mütze zu Wort: Er fühle sich von seinen Worten beleidigt! Und das Recht auf Kritik höre dort auf, wo andere beleidigt würden. Abdel-Samad habe offensichtlich das Selbstverständnis des Islam nicht begriffen, es sei nämlich folgendermaßen: Der Islam verstehe sich als Glaubenskomplex und sei geoffenbart. Dieser Komplex solle sich bewahrheiten. Der aufmerksame Zuhörer fragte sich in diesem Moment zwar, wo denn nun der Widerspruch zu verorten sei – da ging es aber auch schon weiter: Die Menschenrechte seien relativ! Muslime könnten keine E-Mail an Gott schreiben und müssten seine Gebote einfach akzeptieren.

 

Abdel-Samad entgegnete, dass Muslime sich in einem vertikalen Verhältnis zu Gott sähen. Sie selbst könnten das gerne und frei ausleben. Aber wenn sie in den öffentlichen Raum kämen, könnten sie anderen nicht verbieten, sich darüber lustig zu machen: „Der Betroffene muss mit seinen Gefühlen anders umgehen. Sie dürfen an einen Stein glauben, aber bewerfen sie mich nicht mit dem Stein!“

 

Und weiter: Wenn wir als Gesellschaft den Salafisten erlaubten, andere als Ungläubige zu bezeichnen, müsse man auch Pro Köln erlauben, Karikaturen zu zeigen. Die Grenze der Meinungsfreiheit sei erst dort zu ziehen, wo es um Gewalt oder Diffamierung gehe. Wenn er sage: „Mohammed ist kein Prophet gewesen, und er hat eine Religion der Gewalt geschaffen.“, solle darauf mit Argumenten geantwortet werden, aber nicht mit Wut. „Nur wer keine Argumente hat, wird wütend…“ Respekt verdiene man sich durch Argumente und Leistungen, nicht, indem man Respekt fordere, weil man ein Moslem sei: „Ich respektiere sie, aber nicht deswegen, weil sie Moslem sind, sondern weil sie ein Mensch sind!“

 

Mina Ahadi führte recht emotional aus, dass der Islam gegen Menschenrechte, gegen Frauenrechte sei. Er sei eine Bewegung. Er sei menschenfeindlich und aggressiv. Sie wolle hier eine „normale Frau“ aus einem muslimischen Land reden hören, und von ihr geschildert bekommen, was der Islam für ihr Leben bedeutet. Der Islam sei nicht gleichzusetzen mit anderen Religionen, er beinhalte die Todesstrafe, die Steinigung, etc… Mohammed habe eine 9-Jährige geheiratet…

 

Abdel-Samad entgegnete, dass der aggressive unerbittliche Islam im Iran nur ihre persönliche Erfahrung gewesen sei. Andere Frauen hätten vielleicht eine andere Geschichte – keine einzige Erzählung sei allgemeingültig. Mohammed sei nicht mehr für das Heiraten einer 9-Jährigen verklagbar: Damals hätten andere Regeln geherrscht, wie man ja in den 14 Jahrhunderte alten Texten nachlesen könne. Er schlage daher einen Pakt vor: Wir verurteilen Leute von damals nicht nach unseren heutigen Maßstäben, dafür sollen aber auch die 14 Jahrhunderte alten Texte nicht mehr unser heutiges Leben bestimmen: sie müssen relativiert werden.

 

Auf die Frage, ob ein „Islam light“ denn überhaupt möglich sei, zumal das Christentum ja auch trotz der Aufklärung immer noch gefährlich sei, Religionen Menschen trennten, sagte er, dass er an Menschen glaube, und daran, dass sie zu allem fähig seien. Er glaube nicht an die genetische Bedingtheit, wer z.B. Demokrat sei und wer nicht…

 

Was ihm Hoffnung mache: Vor 500 Jahren habe es die tolle Erfindung des Buchdrucks gegeben, die zur Folge hatte, dass das Wissen plötzlich nicht mehr durch die Kirche monopolisiert war. Das Osmanische Reich habe damals diese Erfindung abgelehnt, denn religiöse Gelehrte hätten Angst gehabt, dass der Koran verfälscht werden könne. Die ersten Druck-Platten waren somit tatsächlich nach Kairo z.B. erst 1798 mit Napoleon gekommen: Die islamische Welt hatte über 300 Jahre wichtige Prozesse verpasst. Nun sei aber das Internet in die arabische Welt gekommen, und diese Welle konnten die Gelehrten glücklicherweise nicht stoppen. Es gebe daher eine frische Entwicklung. Eines der beliebtesten Chat-Foren sei momentan eines, worin Araber mit Atheisten diskutierten.

 

Es werde nicht alles von heute auf morgen besser werden. Er kritisiere, weil er verändern wolle. Er wolle das kleine Licht der Veränderung unterstützen…

 

Nach dem Applaus und den natürlich noch lebhaft weitergehenden Einzel-Diskussionen war zu resümieren, dass es insgesamt sehr schön war, zu erleben, dass einmal eine wirkliche Öffentlichkeit in einer Veranstaltung der gbs Köln hergestellt werden konnte. Man kann hoffen, dass wirklich etwas in den Köpfen einiger, die noch nie etwas von rationaler religionskritischer Aufklärung gehört hatten, bewegt wurde.

 

Leider war jedoch auch zu beobachten, dass an den Stellen, wo Religion im allgemeinen kritisiert wurde, nur von relativ wenigen geklatscht wurde, was darauf schließen lässt, dass wohl doch viele Zuschauer nur der Islamkritik wegen gekommen waren.

 

Aber Aufklärung braucht bekanntlich einen langen Atem, und eine Menge „brennender Geduld“…

Von der „Kreuzigung“  intellektueller Redlichkeit

von Constanze Cremer

Er hat sich schon vor Jahren der Häresie schuldig gemacht: Der Doktor der evangelischen Theologie, Heinz-Werner Kubitza, las im Februar 2015 bei der gbs Köln aus seinem neuen Buch „Der Dogmenwahn“, das im Vorfeld schon hervorragende Kritiken (u.a. von Siegfried R. Krebs und Horst Herrmann ) geerntet hatte.

In gewisser Weise kann man dieses Buch fast als das dritte einer Trilogie bezeichnen – wenn man sich nicht scheut, neben seinem Vorläufer „Der Jesuswahn“ auch Richard Dawkins‘ „Der Gotteswahn“ mitzuzählen.

 

Als Kubitza, der mittlerweile Mitglied im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung ist, 2001 den Kirchenaustritt vollzog, war das sich aus der Natur der Sache ergebende Problem, nur für diesen einen Beruf qualifiziert zu sein, bereits elegant damit gelöst, dass er auch schon Verleger war und nun sich und andere kirchenkritische Autoren erfolgreich publiziert.

 

Sein Vorgänger-Werk „Der Jesuswahn“, in dem er aus historisch-kritischer Sicht über Jesus von Nazareth schrieb, letzterer starb bekanntlich als Gescheiterter und Irrender, hat sich bereits über 10.000 Mal verkauft.

 

Im „Der Dogmenwahn, Scheinprobleme der Theologie – Holzwege einer angemaßten Wissenschaft“, der, mit einem Augenzwinkern, aufgebaut ist wie eine klassische Dogmatik, geht Kubitza nun der Frage nach, wie moderne Theologie daherkommt und ob sie tatsächlich so modern ist, wie sie vorgibt. Dazu hat er sich die, für einen sich mittlerweile als Atheisten Verstehenden mutmaßlich zunächst eher als „harte Strafe“ denn interessante Unternehmung empfundene, Arbeit gemacht, die gängigen Dogmatiken der unter Fachleuten populären evangelischen Theologen durchzuarbeiten, und er fand dies, wie er sagt, wirklich höchst amüsant:

 

Staatlich hochbezahlte Leute führen den Leser in eine Parallelwelt und lösen dortige Scheinprobleme mit Scheinlösungen. Es eröffnen sich dabei faszinierend-absurde Denkwege, die beschritten werden, weil, gefesselt an alte Traditionen, ein freies Denken ausgeschlossen ist. Beispiele für solche Scheinprobleme, die niemand hätte, würde man die unelegante Gottes-Hypothese nicht vertreten: „Was machte Gott vor der Schöpfung?“, „Wie ist das Verhältnis Gottes zu den Tieren?“, „Ist auch das Böse von Gott geschaffen?“.

 

Theologen können laut Kubitza keine wirkliche Kritik üben, weil sie viel zu sehr selbst am Spinnennetz der Dogmatik mitgewebt haben, das sie nun gefangen hält. Wo sie sich kritisch äußern, kann dies immer nur Binnenkritik sein, wirkliche Kritik kann daher immer nur von außen kommen, wird dann aber, weil sie von Laien kommt, erst gar nicht zur Kenntnis genommen.

 

Für Predigten bräuchten die Theologen übrigens keine Dogmatiken, da gehe es mehr um die Erbauung der Gemeinde, eigentlich seien Dogmatiken nur für Theologie-Studenten relevant und Höhepunkt eines Theologen-Lebens sei es, eine eigene Dogmatik zu verfassen.

 

Nachdem er einige verschwurbelt-langweilige Zitate aus Dogmatiken verlesen hatte, war man als Zuhörer dankbar, sich nicht selbst eine derartige Lektüre antun zu müssen, sondern zu hören, dass darüber der historische Jesus nur schallend gelacht hätte.

 

Amüsant auch, wie leichtfüßig Kubitza beschreibt, wie schlecht im Saldo der Schreibstil der Bibel ist, genauso, wie der des Koran, und wie man sich als Leser in dem Moment gewahr wird, dass er gleichzeitig vorführt, wie man es doch so viel besser machen kann. Man sollte sich also nicht vom Umfang des Buches, seinem strengen Äußeren und den so vielen eng beschriebenen Seiten abschreckend lassen: abgesehen von einer Menge Wissen über „Aliens auf Papstaudienz“, „Eiertänze“ und „Theologen, von denen man wirklich denken könnte, sie hätten was geraucht“, würde einem eine kurzweilige, von Ironie und Bonmots gespickte, Lektüre entgehen…

 

In der anschließenden Diskussion wurde überwiegend Interesse am historischen Jesus gezeigt, im Gegensatz zu den im Vorfeld beschriebenen Theologen, die merklich die Frage nach dem historischen Jesus nicht gestellt hätten, hätten sie gewusst, was sie sich damit einhandelten:

 

Der historische Jesus hat laut Kubitza dogmatisch nämlich nichts zu bieten und ist zu uninteressant und fremdartig, als dass mit ihm Kirche zu machen sei. Er mache einen eher spröden Eindruck, gehörte einer anderen Religion an, die mit dem späten Christentum fast nichts zu tun hatte und war ein religiöser Extremist mit der Meinung, das Ende der Welt stehe direkt bevor; Extremismus und Überspanntheit musste er dann mit dem Kreuzestod „bezahlen“. Er habe sich als frommer Jude natürlich nicht als gottähnliches Wesen gesehen und schon allein den Gedanken als Blasphemie empfunden, sein Tod, der vermutlich unbeabsichtigt war, habe für ihn keine Heilsbedeutung gehabt.

 

Die meisten Theologen würden sich daher, so Kubitza, zwar artig zum geschichtlichen Jesus wie zu einer Ehefrau bekennen, ihre Leidenschaft aber gelte dem dogmatischen Christus als ihrer heimlichen Geliebten. Nur die Liebe (die angenehmste Form des Wahnsinns) könne erklären, warum gestandene Männer und Frauen, die sich selbst als Wissenschaftler verstanden wissen wollen, wenn sie von Jesus redeten, ins Schwärmen gerieten wie pubertierende Pennäler.

 

Auf die Frage, wie hoch er die Wahrscheinlichkeit einschätze, dass Jesus überhaupt existiert hat, führte er aus: Es gab und gibt einzelne Theologen, wie z.B. Hermann Detering, die behaupten, dass er ein reiner Mythos sei, aber man schaffe sich damit tatsächlich mehr Probleme, als man löse.

 

Er selbst gehe davon aus, dass Jesus wohl eine historische Person war, die immer mehr mythologisiert wurde. Denn wenn man davon ausgehe, dass er erfunden wurde, warum habe man ihn dann mit so vielen Fehlern ausgestattet, warum ließ man ihn taufen, warum kreuzigen, warum einen so gängigen Namen tragen, warum einen so provinziellen Geburtsort haben?

 

Die jüdische Sicht auf Jesus sei schon immer viel realistischer gewesen, wie die Forschung festgestellt habe: ein Mensch aus seiner Zeit, vermutlich verheiratet, weil er sonst angegriffen worden wäre.

 

Wenn es in Jesus’ Worten wirklich eine göttliche Offenbarung gegeben habe, dann sei es sein gravierendster Fehler gewesen, nichts Schriftliches hinterlassen zu haben. Alles sei aus zweiter oder dritter Hand überliefert und daher sicher voller Missverständnisse. Eventuell hat er auch deshalb nichts Schriftliches hinterlassen, weil die Welt ja bald untergehen sollte. Aber wenn Jesus doch tatsächlich sagte, dass einige Zeitgenossen das Reich Gottes noch erleben würden, hätte man ja spätestens im zweiten Jahrhundert zur Kenntnis nehmen müssen, dass er sich geirrt hatte…

 

Die These vom Seitensprung Marias mit dem römischem Offizier Panthera bezeichnet Kubitza als Legende: Sie tauchte erst 200 Jahre später auf und ist daher sicher kein historisches Zeugnis mehr. Aber dass Jesus öfter nur als „Sohn der Maria“ bezeichnet wurde, könnte darauf hinweisen, dass er unehelich geboren war…

 

Zur Frage, wie denn die Theologen auf seine Bücher reagierten, war die Antwort knapp: sie würden grundsätzlich ignoriert. Er plane aber, alle bekannten evangelischen Theologen auf das neue Buch hinzuweisen. Er rechnet damit, dass es zwar gelesen wird, aber nicht rezipiert, da „man“ damit kaum etwas zu gewinnen habe… Er behandele in seinem Buch nur die gängigen theologischen Ansichten, mit Extrempositionen würde er es den Gegnern zu leicht machen. Diese gängigen Positionen kämen aber nicht in Predigten vor. Wenn die berühmten „wissenschaftlich vergeistigten“ Theologen mitunter einmal zu Predigten eingeladen würden, sei er teilweise schockiert, wie anders gegenüber dem „gemeinen Volk“ gepredigt werde.

 

Er habe auch Freunde unter Pfarrern, mit denen er zusammen studiert habe, von denen einige sagen würden: „Jetzt bin ich 40 oder 50 Jahre alt, ich habe doch nichts anderes gelernt…“ Oder: „Ich glaube halt Nonsens, das tut gut.“ Oder man verschreibe sich allein der Religion als Wellness: Es ist so ein tolles Gefühl im Gottesdienst.

 

Gefährlich seien die Auswirkungen von Dogmen auf die Realität: aus der Idee von der Reinheit Mariens etwa, wahrscheinlich ohnehin nur ein Übersetzungsfehler, ergebe sich nach wie vor die Haltung der Kirchen zu Abtreibung und PID, zur Stellung der Frau allgemein, die ja eigentlich so sein sollte wie Maria…

 

Religion, so Kubitza, war einst ein Selektionsvorteil und wird daher nicht schnell verschwinden. Heute ist sie zum Hindernis geworden; die Welt sähe ohne viel friedlicher aus.

 

Auf die Frage, was ihn denn letztlich zum Bruch mit der Theologie geführt habe, erklärte er, über die Kenntnisse, welche er im „Jesuswahn“ dargelegt hat, habe er zwar schon damals verfügt, sie sich aber immer wieder so „zurechtgebastelt“, dass er dann doch seinen Glauben nicht aufgeben musste. Ausgetreten aus der Kirche war er zunächst nur aus Protest, weil für eine Kirchenorgel extrem viel Geld verschwendet wurde.

 

Erst später sei er kritisch geworden, nachdem er sein „Damaskus-Erlebnis“ hatte: das Buch „Denn sie wissen nicht was sie glauben“ von Franz Buggle.

 

Bis dahin hatte er die negativen Stellen in der Bibel immer komplett überlesen. Denn tatsächlich, auch Theologen tun sich schwer mit der so teilweise zähen und langweiligen Bibel-Lektüre: man blättert einfach weiter, bis man etwas findet, was einem gefällt. Und wenn man etwas Grausames liest, dann blättert man einfach weiter.

 

Das Wesen der Bibel wie auch des Korans sei es, dass sich immer beides darin befinde: Schreckliches wie Angenehmes, daher könne man diese Schriften für alles heranziehen und niemals auf ihrer Grundlage ein funktionierendes faires Gemeinwesen gründen. Dies könne man nur auf Basis der Menschenrechte und allgemeingültigen Vereinbarungen wie dem Grundgesetz.

 

Auf die Schlussfrage, wie man denn am sinnvollsten schon im Vorfeld den in zwei Jahren anstehenden „Luther-Käßmann-Festspielen“ begegnen könne, verwies er auf schon bestehende Flyer, die es zu ergänzen gälte, und welche vor allem „unter das Volk“ zu bringen seien: aufklären, bis sich die Theologen eigentlich schämen müssten, sich auf solcherlei Huldigungsveranstaltungen blicken zu lassen. Huldigungsveranstaltungen, zu denen man mit großer Sicherheit mit den Worten aus Kubitzas „Dogmenwahn“ wird sagen müssen: Hier wird „die intellektuelle Redlichkeit gekreuzigt“.