IX. Wochenendseminar und Feier zum zehnjährigen Bestehen der Regionalgruppe gbs Köln e.V. im Oktober 2018 im Haus Weitblick in Oberwesel, ein Tagungsbericht.
Wissenschaft, Kunst und Satire – ein thematischer Rahmen, der nur wenig Raum für Wünsche nach Ergänzungen offen lässt. Aber wo bleibt die hier möglicherweise erwartete Religionskritik, mag manch einer fragen? Nun, sie ist im Programm enthalten. Denn nur breit aufgestellte, fundierte und aufgeklärte Bildung schafft die entscheidende Grundlage, auf welcher sich u.a. auch Religionskritik als eine Art „Abfallprodukt“ beinahe von selbst einstellt.
Und dies ist ein fortwährender Prozess, welcher auch immer der Weiterentwicklung in Bezug auf neue Erkenntnisse Rechnung tragen muss – und so einen Beitrag zur Aufklärung in all ihren Facetten leistet. Die Fahne der Aufklärung hochhalten vermögen alle rund 50 (Regional-) Gruppen der Giordano-Bruno-Stiftung mit ihrer Arbeit vor Ort zu tun; und eine dieser Gruppen ist die aus Köln, welche als wohl zweite derer in diesem Jahr auf zehn Jahre beständiger Arbeit zurückschauen kann. Und zum neunten Mal fand das alljährliche Wochenendseminar der gbs Köln mit Vorträgen und Diskussionen der verschiedensten Art statt, diesmal mit Themen wie
- Auf Zins basierende Schuldgeldsysteme (Johann Kortmann)
- Erklärbare „Unerklärbarkeit“ (Burkhard Wepner)
- Wissenschaft – Eine Verschwörung korrupter Experten? (Jan Sütterlin)
- Ist das Gehirn ein Computer? (Bernd Vowinkel und Martin Jansen)
- und eben auch Ralf Königs Elftausend Jungfrauen
– und diesmal im Forum des Stiftungssitzes, dem Haus Weitblick in Oberwesel, welches dankenswerter Weise vom Vorstand der Stiftung zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurde.
Zehn Jahre gbs Köln – wenn das kein Grund zu feiern ist?! So bot sich neben den erwähnten Vorträgen auch an, in einer kurzen Rückschau die zahlreichen Personen mit deren Hilfe beim Aufbau der Gruppe zu würdigen und die diversen Veranstaltungen Revue passieren zu lassen. Für manche war das zweitägige Seminar ein vielfaches Wiedersehen und Wiedereintauchen in die gbs-Gruppe, die mit gut einjährigem Vorlauf zur „offiziellen“ Gründung in Köln vor 10 Jahren einmal von 5 Personen in Bonn in einem Gartenlokal am Rhein startete.
Die gut 35 Teilnehmerinnen und Teilnehmer versammelten sich am Tagungsort, um mit Kaffee gestärkt, den Weitblick geschärft und mit Sekt in Schwung gebracht den Vortragenden zu folgen. Herbert Steffen ließ es sich nicht nehmen, die Gruppe im gbs-Stiftungshaus willkommen zu heißen; auch Elke Held und Michael Schmidt-Salomon (fernerhin MSS) gaben der gbs Köln die Ehre.
Auf Zins basierende Schuldgeldsysteme
Erstes Vortragsthema war die Idee eines Vollgeldsystems, das nach Ansicht des Vortragenden, Johann Kortman, die Probleme der EURO-Zone mildern oder gar lösen könnte. Er schilderte die Inkonsistenzen des Euro-Systems, die durch reine Buchungsvorgänge im Bankensystem überdeckt würden. Das Geldsystem sei eine der Ursachen von Schuldenexplosion und Umverteilung von der Mitte nach oben sowie des ökologisch gefährlichen Wachstums. Es gab eine lebhafte Diskussion, die jedenfalls zeigte, dass die versammelten Giordanos mit Sympathie auf die Perspektive eines weniger wachstumstreibenden Geldsystems reagierten. Sicherlich verlangt das Thema nach weitergehenden – und vor allem auch globalen – Betrachtungen und konnte somit in der Kürze der Zeit nur angestoßen und keinesfalls erschöpfend diskutiert werden. Umso mehr aber ist dies eine Materie, welche den kritischen Blick auf Zusammenhänge lenkt, die ebenso bedeutend sind wie manches andere, was vielleicht etwas eher das „täglich Brot“ des humanistisch Engagierten ausmacht.
„Kürzelliste“
Einem vielfachen Wunsch folgend präsentierte Burkhard Wepner im Anschluss recht locker eine schier unendliche Abkürzungsliste, die ein gestandener Giordano zumindest in Teilen kennen sollte; andernfalls besteht die Gefahr, den gbs-Gesprächen (nicht nur dort im HWB oder hier beim hpd) nicht mehr folgen zu können. Dabei dürften Kürzel wie DA!, RIR, IBKA, HVD, bfg, ifw, fowid und PdH, MSS und IMM das kleinere Problem der insgesamt über hundert derer gewesen sein; B 16 und TvE ebneten zwischendurch den Weg zu entfernteren Gefilden. (Übrigens: HWB bedeutet „Haus Weitblick“…)
10 Jahre gbs Köln – ein Rückblick
Nach der Mittagspause trugen Constanze Cremer und Burkhard Wepner vor, was und wer in den mehr als 10 Jahren die Gruppe und ihre Arbeit geprägt hat – vom Start in Bonn bis heute in Köln – und nicht zu vergessen sei die anfängliche Inklusion(!) mit Düsseldorf. Natürlich freuten sich alte und jüngere Teilnehmer über viele Bilder und Erwähnungen aus der Vergangenheit – immerhin hatten sich im Laufe der Jahre mehr als 200 verschiedene Interessierte allein bei den Organisationstreffen eingefunden. Eine nur exemplarische Auswahl der diversen Vorträge, Gesprächsveranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Organisationstreffen, Straßenstände, Wochenendseminare bis hin zu Konzerten und sogar einer externen Theaterveranstaltung und manches mehr, wie auch die Feierlichkeiten im kleineren Kreis, sollten Revue passieren lassen, Erinnerungen wecken und zugleich Antrieb zu neuen Taten sein. Auch wurde erwähnt, dass aus der Tätigkeit der gbs Köln in Zusammenarbeit mit dem DA! und RIR das „Säkulare Netzwerk NRW“ (SNW) hervorgegangen ist, und ebenso aus Köln in Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Exmuslime die „Säkulare Flüchtlingshilfe“ (SF-AH). In der Diskussion über weitere Aufgaben konstatierte MSS ermutigend, dass die Gesellschaft in Deutschland längst nicht mehr religiös geprägt sei, die Politik aber zur Anerkennung und Berücksichtigung dieser Tatsache gebracht werden müsse.
Erklärbare „Unerklärbarkeit“
Am späteren Nachmittag gab Burkhard Wepner unter dem Titel „Erklärbare ‚Unerklärbarkeit‘“ einen Einblick in das Wesen von Tönen, Klängen und Musik. Die anscheinende ‚Widersprüchlichkeit in sich‘ des Titels, welche allerdings schon durch die Anführungszeichen hinterfragt wurde, sollte in seiner doppelten Interpretierbarkeit auch zweifach eine Rolle spielen, nämliche erstens als die Sicht auf eine nur behauptete Unerklärbarkeit, welche aber durchaus rational „entzaubert“ werden kann, und zweitens als eine tatsächliche Offenheit, deren Existenz als solche aber begründet werden kann und somit den Raum zu übersinnlicher Interpretation nimmt, ohne aber die Besonderheit des Erfahrens dieser Offenheit und der damit verbundenen individuellen Erlebnisse in Frage zu stellen.
Es war ein musikwissenschaftlicher Einblick in das Geheimnis, wie exemplarisch musikalisch geweckte Gefühle entstehen können; Momente, die so häufig als religiöse Erlebnisse interpretiert und damit missverstanden bzw. einseitig religiös vereinnahmt werden. Gleichzeitig gilt es, mit aufgeklärtem Kunstverständnis eine Lücke zu schließen, in welche sich (christlich-) religiöse Adepten als eine ihrer letzten Zufluchtsorte glauben flüchten zu können, um ihre ideologische Daseinsberechtigung zu zementieren. Und diese Lücke kann substantiell und nachhaltig nur geschlossen werden, wenn der sich dahinter befindende Raum mit aufgeklärtem Kunstverständnis „besetzt“ ist.
So ist (als einfaches Beispiel) wohl den meisten Rezipienten von Musik durch den steten aktiven und vor allem auch passiven Gebrauch der diversen zugänglichen Musik die Tatsache unbekannt, dass sie sich in den allermeisten Fällen (wie es inzwischen in großen Teilen auf diesem Planeten geschieht) der sogenannten „gleichschwebend temperierten Stimmung“ bedienen, einer dem Menschen angepassten „Tonhöhenregulierung“, die sich den natürlichen Gegebenheiten „widersetzt“, sozusagen die Mathematik über die Physik „triumphieren“ lässt. Dies geschah historisch zunächst aus Gründen der dem Menschen angepassten Praktikabilität, darüberhinaus aber auch, um gleichzeitig unglaubliche Gestaltungsräume zu öffnen, wie sie die großen Komponisten zu nutzen wussten.
Am Beispiel des Schlussabschnitts aus Schuberts 8.Sinfonie in h-moll wurde gezeigt, inwieweit der möglicherweise erlebte „Sinn und Geschmack für das Unendliche“ in Grenzen erklärbar, bzw. deren Aspekte der Offenheit als solche belegbar sind, ohne dass eine „göttliche Kraft“ als Begründungsmodell herhalten muss.
Mit den Klängen aus Schuberts ‚Unvollendeter‘ in den Ohren ging es anschließend zum Abendessen, worauf ein Beisammensein mit vielen Themen, ernsten und heiteren Gesprächen bis in die späten Abendstunden folgte.
Wissenschaft – Eine Verschwörung korrupter Experten?
Am nächsten Morgen traf man sich wieder, um in Erwartung einer Antwort auf die zugegeben provokante aber natürlich auch nur rhetorisch gemeinte Fragestellung innerhalb der Vortragstitels selbige neu beleuchtet zu erhalten und sich weiterhin mit Wissenschaft zu befassen. Jan Sütterlin schilderte brillant und anschaulich, dass der Mensch Wissenschaft brauche, weil er die Wirklichkeit vielfach unzureichend oder gar falsch verstehe. Manches hänge mit dem Evolutionsprozess zusammen, der unser Hirn nicht auf objektiv wahre Erkenntnis sondern auf Überleben in einer oft feindlichen Umgebung ausgerichtet habe. In seinem zweiten Teil schilderte er, wie Wissenschaft funktioniert, um diese Defizite zu kompensieren. Schließlich ging er auf Probleme des Wissenschaftssystems ein, denn natürlich ist es ein System mit Menschen und ihrer Fehlbarkeit und Beeinflussbarkeit bis hin zu Korruption. Trotzdem gebe es viel mehr wissenschaftlichen Konsens, etwa zum anthropogenen Klimawandel, als allgemein anerkannt. In der Diskussion wurde manches ergänzt. Und weil Selbstverständlichkeiten der Vernunft und damit auch der Wissenschaft unter Druck, ja geradezu unter Beschuss von politischen Irrläufern und Populisten geraten sind, muss es die gbs als eine ihrer vielen Aufgaben verstehen, immer und überall die Flamme der Aufklärung weiter zutragen, die nur durch neugierige Fragen und wissenschaftliche Suche nach Antworten die traditionelle Unmündigkeit des Menschen überwinden kann und muss.
Ist das Gehirn ein Computer?
Dazu passte das folgende Vormittagsthema sehr gut: Bernd Vowinkel und Martin Jansen widmeten sich der Frage „Ist das Gehirn ein Computer?“. Bernd Vowinkel vertrat beredt die These, dass das Hirn auch nur algorithmisch arbeite wie ein Computer und daher nach Meinung mancher Fachleute in etwa 30 Jahren technisch durch Computer emulierbar sein werde. Martin Jansen widmete sich in seiner Gegenrede dem Phänomen menschlicher Gedanken und des Bewusstseins mit seinen Empfindungen, also dem Qualia-Problem. Natürlich wurde die Frage, was Bewusstsein sei und wie es evolutionär entstanden sei, nicht geklärt. Ist noch für viel längere Zeit die Komplexität für Computersimulationen viel zu groß, oder muss man, so MSS, erst verstehen, was Leben ist?
Die von Martin gewählte Fokussierung auf den Bewusstseinsbegriff ließ aus Zeitgründen nicht mehr zu, auch andere Aspekte der „Künstlichen Intelligenz“ zu diskutieren – einer recht schnellen Entwicklung mit erheblichen Folgen für die Struktur von Gesellschaft und Arbeitswelt. Die damit verbundenen ethischen Fragen könnten einer weiteren Veranstaltung anvertraut werden.
Elftausend Jungfrauen
Nach so viel ernsthafter Auseinandersetzung mit Sachthemen der verschiedensten Fachgebiete wurde dem Bedürfnis des Feierns nachgekommen, wobei aber auch in diesem Fall der ernsthafte Hintergrund – diesmal innerhalb einer guten Satire – nicht zu kurz kam. Mit großer Spannung erwartete man den letzten Programmpunkt am Nachmittag: endlich sollte man etwas über die berühmten „Elftausend Jungfrauen“ und die Kölner Schutzheilige Ursula erfahren. Was Ralf König dann aus seinem schriftstellerischen und vor allem zeichnerischen Schaffen vortrug, löste diese Spannung sehr gbs-adäquat mit viel Gelächter – es waren einfach köstliche Comic-Zeichnungen voller satirisch gelungenem Spott und einem Vortragenden, der über verblüffend viele Stimmen verfügte, um akustische Eindrücke hinzuzufügen.
So gab es viel Applaus für den Vortragskünstler, dann noch einmal für die Gastgeber Herbert Steffen und Frau Bibi sowie für den Vorstand der gbs Köln und alle, die durch Arbeit und aktive Teilnahme dies gelungene Wochenende ausgestaltet haben.
Gerd Eisenbeiß